Geheimnis von St. Andrews
Nachschlagewerke zu beschaffen. Wir werden gemeinsam einige Fresken unten in der Krypta nachbilden. Aber wir brauchen Vorlagen aus kunstgeschichtlichen Werken. Ich habe hier eine Bücherliste zusammengestellt. Sie besorgen das alles in der Bibliothek in Ipswich, verstanden?“
„Heute noch, Sir?“
„Selbstverständlich. Diese Fresken stehen als Nächstes auf meinem Arbeitsplan. Es fährt stündlich ein Zug von Pittstown nach Ipswich. Sie sollten bis heute Abend wieder hier sein. Dann brauchen Sie aber nicht nach St. Andrews zurückzukehren. Kommen Sie einfach morgen früh mit den Büchern hierher, dann machen wir weiter.“
Cherry nickte nur, obwohl bei ihr alle Alarmsirenen schrillten. Für sie war die Sache mit der Bücherbeschaffung nur ein Vorwand. Blackburn wollte sie wegschicken, daran gab es für Cherry keinen Zweifel. Aber weshalb?
Am liebsten wäre sie zu Inspektor Abercrombie gegangen. Aber was für einen Beweis hatte sie für ihre Annahme? Gar keinen. Deshalb tat sie so, als würde sie sich Blackburns Anordnung fügen, und verließ die Kirche. Sie glaubte, die Blicke des Restaurators in ihrem Rücken zu spüren.
Aber wenn Blackburn annahm, dass sie wirklich nach Ipswich reisen würde, dann irrte er sich gewaltig.
Cherry würde heimlich in die Kirche zurückkehren.
Und dann würde sie das Rätsel der Krypta endlich lösen.
8. KAPITEL
Cherry plante ihre Aktion sorgfältig. Auf jeden Fall wollte sie St. Andrews im Schutz der Dunkelheit erneut betreten. Im Supermarkt kaufte sie sich eine Taschenlampe. Außerdem vertauschte sie in ihrem Pensionszimmer ihren Overall gegen einen dunklen Jogginganzug. Statt ihrer Arbeitsschuhe mit Stahlkappen zog sie Turnschuhe mit Gummisohlen an, in denen sie sich völlig geräuschlos bewegen konnte.
Es war bereits später Nachmittag gewesen, als sie die Kirche verlassen hatte. Dennoch musste sie noch ein paar Stunden warten, bis sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. Es war Sommer, und deshalb wurde es erst spät dunkel.
Sie musste immer wieder an Mark denken. Wie es ihm wohl ging? Ob er in Gefahr war? Einige Male probierte sie noch, ihn auf seinem Handy anzurufen. Aber das Gerät war nach wie vor abgeschaltet. Cherry wusste immer noch nicht, wie sie sein Verschwinden deuten sollte. Doch über ihre Gefühle war sie sich inzwischen klar geworden. Sie hatte sich in ihn verliebt. Daran bestand kein Zweifel mehr.
Endlich zog die tintenschwarze Nacht über Pittstown hinauf. Wolken ballten sich zusammen. Vielleicht würde es später ein Gewitter geben. Die Luft war drückend und schwül. Wie ein Schatten huschte Cherry durch die stillen Gassen. Hinter der Friedhofsmauer wartete sie kurz und schaute sich aufmerksam nach allen Seiten um. Doch nichts deutete darauf hin, dass außer ihr noch ein anderer Mensch in der Nähe war.
Ob sich Blackburn und Lonnegan noch in St. Andrews befanden? In der Kirche brannte auf jeden Fall Licht, aber das musste nichts bedeuten. Cherry erinnerte sich daran, dass Father Nolan das Gotteshaus Tag und Nacht für die Gläubigen geöffnet halten wollte. Wenn Blackburn die Kirche jetzt eigenmächtig abschloss, würde er sich nur verdächtig machen.
Cherry lief quer über den Friedhof. Sie wollte St. Andrews nicht durch das Hauptportal, sondern durch eine schmale Pforte an der Südseite betreten. Dort hatte sie eine größere Chance, unbemerkt in die Kirche zu gelangen. Cherry drückte die Klinke nach unten. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, öffnete sie die uralte Holztür. Die Scharniere knarrten. Nervös presste Cherry die Lippen aufeinander. Sie durfte sich nicht selbst verrückt machen. Sie wusste, dass das Geräusch nicht sehr laut gewesen sein konnte. Dennoch hielt sie unwillkürlich den Atem an, bevor sie ins Innere der Kirche spähte. Abgesehen von den Lichtinseln der wenigen Lampen und Kerzen war der größte Teil des Raums in ein geheimnisvolles Halbdunkel getaucht. Der Geruch von Weihrauch und die nur verschwommen wahrnehmbaren Heiligenbilder und Skulpturen trugen zu der mysteriösen und unwirklichen Atmosphäre von St. Andrews bei.
Cherry musste sich zusammennehmen, um sich davon nicht zu stark beeindrucken zu lassen. Es war wirklich etwas anderes, tagsüber hier zu arbeiten und die Arbeitsgeräusche von Mark, Lonnegan und Blackburn zu hören. Jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, kam es ihr vor, als würde sie eine fremde Welt betreten. Doch der Gedanke an Mark drängte ihre Beklemmung zurück. Sie hatte das Gefühl, dass
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