Geheimnis von St. Andrews
eine Zeitlang, bis sie den Mechanismus entdeckte.
Cherry bekam eine Gänsehaut, als sich der Sarkophag an seiner Schmalseite öffnete. Vor ihr gähnte eine Luke – groß genug, um einen Menschen hineinzulassen. Cherrys Herzschlag beschleunigte sich, während ihre Kehle wie zugeschnürt war. Noch vor kurzer Zeit hätte sie sich niemals träumen lassen, freiwillig in einen Sarg zu kriechen. Natürlich hatte sie Angst, wie sie sich eingestehen musste. Doch wenn sie jetzt nicht weitermachte, war ihre ganze Aktion umsonst gewesen.
Deshalb zögerte sie nur kurz. Doch ihre Hand zitterte, als sie sich die Lampe griff und auf Händen und Knien in das Grabmal vordrang. Cherry erschrak sich beinahe zu Tode, als sich der Zugang hinter ihr rumpelnd wieder schloss. Das war automatisch geschehen. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich vorwärts zu bewegen. Wie man aus dem Grab wieder entkommen konnte, wusste sie noch nicht.
Immerhin waren in dem steinernen Behältnis keine Knochen mehr zu sehen. Also lagen wirklich die sterblichen Überreste von Loretta Dunnington dort draußen unter der Plane. Kein anderer als Blackburn konnte sie herausgenommen haben. Cherry stieß einen verächtlichen Laut aus. Das, was Blackburn hier trieb, konnte man wirklich nicht als seriöse Restaurierungsarbeit bezeichnen. Für sie gab es nun keinen Zweifel mehr, dass ihr Boss hinter dem Gruftgold her war.
Aber was hatte das Ganze mit Mark zu tun?
Sein Verschwinden beschäftigte Cherry mehr als alles andere. Doch momentan musste sie sich ganz auf ihre eigene Lage konzentrieren. Es zeigte sich nämlich, dass ihr Verdacht stimmte. Der Sarkophag war gegen die Wand gerückt, doch in dieser klaffte ein großes Loch. Man konnte also durch Lorettas Grabmal direkt in den Geheimgang gelangen.
Dort war es etwas geräumiger als im Sarkophag. Cherry musste nicht mehr kriechen, sondern konnte sich aufrichten. Gewiss, die Decke über ihr war ziemlich niedrig. Ein hochgewachsener Mann musste sich hier geduckt fortbewegen. Cherry führte sich vor Augen, dass in früheren Jahrhunderten die meisten Menschen durchschnittlich wesentlich kleiner gewesen waren als heutzutage. Ein normaler Typ des 15. Jahrhunderts hatte vermutlich dieselbe Körpergröße wie Cherry.
Sie bewegte sich weiter vorwärts, bis sie plötzlich Stimmen hörte.
Unwillkürlich hielt Cherry den Atem an.
Sie presste sich gegen die feuchte Wand des Geheimgangs und schaltete ihre Taschenlampe aus. Nun war es um sie herum stockfinster. Aber das war momentan ihre einzige Chance, nicht bemerkt zu werden. Doch plötzlich hörte sie Stimmen.
Wer mochte das sein?
Cherry konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber sie war davon überzeugt, Männerstimmen gehört zu haben. Aber es hallte in den kahlen Gängen, und sie hatte keine Ahnung, wie weit sie von diesen Personen entfernt war. Doch wenn sie nicht zwischen den kalten feuchten Mauern Wurzeln schlagen wollte, dann musste Cherry sich vorsichtig weiter voranpirschen.
Sie musste ihren Ekel vor den zahlreichen Spinnweben unterdrücken, als sie sich an der Wand entlangtastete. Bald stellte sie fest, dass sich der Gang gabelte und in mindestens zwei verschiedene Richtungen führte. Offenbar gab es auch abgeteilte Kammern, wie Cherry vermutete, als ihre Finger über das Holz einer Tür führten. Und dann bemerkte sie links vor sich einen fahlen Lichtschein. Allmählich konnte sie die Stimmen deutlicher erkennen. Es waren Blackburn und Lonnegan. Am Tonfall war zu erkennen, dass die Männer stritten.
„Zum letzten Mal, eine Leiche ist mehr als genug. Ich will keine weiteren Schwierigkeiten, Jake.“
Cherry kniff die Augen zusammen. Diese Worte waren eindeutig von Blackburns Lippen gekommen. Aber warum hatte er den anderen Mann Jake genannt? Lonnegan hieß doch mit Vornamen Sam. Diese Frage beantwortete sich im nächsten Moment von selbst.
„Du sollst mich doch nicht bei meinem richtigen Namen nennen, du Trottel. Nachher verplapperst du dich noch, zum Beispiel bei deiner neugierigen Praktikantin. Für die Leute hier bin ich Sam Lonnegan, kapiert? Und ich weiß nicht, wie du diesen Mark ansonsten ruhigstellen willst. Der Kerl hat zu viel mitgekriegt, das weißt du genau. Ich werde ihn zum Schweigen bringen, und zwar für immer. Das hätte ich schon längst tun sollen.“
Cherrys Herz krampfte sich zusammen, als Lonnegan diese tödliche Drohung ausstieß. War Mark in der Gewalt dieses üblen Duos? Momentan sprach alles dafür. Cherry musste ihm
Weitere Kostenlose Bücher