Geheimnisse der Lebenskraft Chi
die Augen vor der grellen Nachmittagssonne und wende den Blick nach innen.
»Ja, da kommt Energie raus«, berichte ich mit geschlossenen Augen. »Aber sie ist anders als das, was ich kenne. Irgendwie gröber.« Ich öffne die Augen und frage, woraus die Decke besteht. Aus drei Lagen Stahlwolle, sagt Ted und fügt hinzu, Reich habe gemeint, die Decke sei heilkräftig. Er schweigt kurz, dann beugt er sich herüber und fragt mit mühsam beherrschter Neugier, ob ich den Zauberstab mitgebracht habe. Ich nicke bedeutsam, und er macht große Augen. Einen Zauberstab bei
sich zu haben, das fühlt sich an, als schmuggelte man verbotene Waren, es ist ein diebisches Vergnügen damit verbunden. Ich sehe mich um. Niemand interessiert sich auch nur im Geringsten für uns. Als ich die Plastiktüte heraushole, macht Ted den Mund auf. Ich ziehe den Stab heraus, Ted beugt sich vor. Ich fasse seine Hand und ziehe mit dem Stab kleine Kreise über der Handfläche.
»Das kribbelt!«, ruft er so leise, wie er kann. Dann fragt er: »Kann ich ihn selbst mal halten?« Natürlich kann er. Ich sehe ihm zu, wie er den Stab mit gebanntem Interesse studiert. Er zwirbelt ihn wie einen Sektquirl über seinem Handrücken und atmet scharf ein, so groß scheint die Verblüffung zu sein. Dann zeigt er mit dem Stab auf seinen Ellbogen und schüttelt die Spitze kräftig. Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass das wohl schon der Gegenwert eines ganzen Monats Zauberstab-Chi war, und Ted ist noch nicht fertig. Er fährt eine unsichtbare Linie zwischen Ellbogen und Handteller ab und ergeht sich in Ausrufen über die Empfindung. Dann nimmt er den Stab in die andere Hand und, wie in Trance, wiederholt er das Ganze mit dem anderen Arm. Jetzt schüttelt er Chi wie aus einem Salzstreuer auf einen verletzten Finger. Er ist derart gebannt von der Energie, dass ich ihm den Stab praktisch entwinden muss, um ihn dann schnellstens in seiner Tüte verschwinden zu lassen.
Drei Tage danach teilt mir Ted aufgeregt am Telefon mit, der Finger sei bereits geheilt. Und das ist nur der erste von vielen Stab-Erfolgen, zu denen es noch kommen wird. Einige meiner Geschwister werden der Gebefreudigkeit des Stabs teilhaftig. Aber die meisten Behandlungen erhält meine neue Freundin. Sie rennt ständig gegen irgendetwas und braucht drei- bis
viermal pro Woche ein Zauberstabzwirbeln. Einmal halte ich ihr vor, sie lege es ja direkt darauf an; ihr Gesicht zeigt echtes Erstaunen.
Nach etwa dreizehn Monaten schicke ich den Stab aufs Altenteil, seine Energie ist verbraucht. Einen Monat darauf verletzt sich meine Freundin wieder einmal, und ich stöbere in meinem Büro nach dem Stab. Aber er hat wohl sein letztes Zauberkunststück vollführt: Er ist weg.
ERSCHEINUNGEN
Einmal wache ich am Morgen auf, und auf dem Kissen neben mir ruht ein rosiges Mysterium, das Mysterium der Liebe. Es hat einen Namen, Jenifer Lass. Jenifer ist eine strahlende Schönheit, immer guter Laune und von liebenswürdiger Freundlichkeit. Sie verdient ihr Geld als Schauspielerin und Model. Mein Interesse an der chinesischen Medizin teilt sie nicht, aber die Wirkung des Zauberstabs überzeugt sie doch so weit, dass sie Dr. Chow einmal als Patientin aufsucht. Die Akupunktur findet sie äußerst belebend, aber den verordneten Kräutersud verteilt sie doch lieber auf die Blumentöpfe und sagt sich, ich würde es schon nicht merken. Ich merke auch nichts, bis die Pflanzen plötzlich eine auffallende Sprießwilligkeit zeigen und Jenifer sich zu ihrer Düngungsmethode bekennen muss.
Einige Zeit nach dem Besuch in der Praxis erhält Jenifer von ihrem Hausarzt die alarmierende Nachricht, sie habe einen vergrößerten Eierstock. Er sagt, der Eierstock müsse entfernt werden, und setzt für die nächste Woche einen Operationstermin an. Jenifer geht zu Dr. Chow, und der rät ihr dringend, es erst einmal mit einer Kräuterarznei zu versuchen. Jetzt werde ich vorübergehend zum Hausarzt erklärt. Ich muss die zerstoßenen Kräuter mit chinesischem Essig zu einer Paste anrühren,
die ich dann auf die Haut über dem vergrößerten Ovar auftrage. Nach fünf Tagen ist Jenifers Eierstock wieder normal groß, und ihr Arzt, ebenso erstaunt wie erfreut, sagt die Operation ab.
Jenifer bezeichnet sich selbst manchmal als Katastrophe auf Beinen und bekommt noch zweimal Gelegenheit, ihr eigenes Versuchskaninchen für die Paste zu sein. Kaum einen Monat nach der Eierstockheilung bricht sie sich das Steißbein, und wieder habe ich die
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