Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
Stellvertreter Karl Maria Hettlage wichtige Informationen persönlich mitzuteilen, da die Telefonleitung unterbrochen war. Speers Mission war nach eigener Aussage gegenüber seiner Biografin Gitta Sereny getrieben von der Furcht, dass »Sigrön voraussichtlich in der russischen Zone liegen würde – natürlich albern, weil er [Hettlage] das sicher schon längst selbst herausgefunden hatte«. Also mussten die Bilder von dort verschwinden und in Sicherheit gebracht werden. Hettlage beaufsichtigte die Verladung der Bilder durch die »Organisation Todt«, die Speer unterstellt war, und erfuhr wohl bei dieser Gelegenheit, dass Speer seinem Freund Frank die Bilder »geschenkt« habe. Der Begriff »Schenkung« sollte später noch für höchst unterschiedliche Interpretationen sorgen.
Albert Speer sah in Sigrön seine Bildersammlung zum letzten Mal für die nächsten 35 Jahre. Während er sich am nächsten Tag auf einer wahrhaften Odyssee in das schwer umkämpfte Berlin zurückwagte, um Hitler zum letzten Mal in der Reichskanzlei zu besuchen und sich von seinem Gönner für immer zu verabschieden, brachte ein Lkw die knapp drei Dutzend Gemälde in die entgegengesetzte Richtung nach Hamburg, in die mutmaßlich britische Zone. Dort konnte sich Speer einen gnädigeren Umgang mit seinen anonymen Vermögenswerten erhoffen. Das Motiv für den kurzen Abstecher seiner Bilder nach Gut Sigrön war Albert Speer in seinen Erinnerungen nur eine möglichst belanglose, aber irreführende Bemerkung wert: »Ohne Sinn und Zweck entschloß ich mich, für eine Nacht jenen Gutshof bei Wilsnack aufzusuchen, in dem ich mit meiner Familie viele Wochenenden verbracht hatte.«
»Ohne Sinn und Zweck« also. Albert Speer verschleierte geschickt den wahren Grund seiner gewagten Reise nach Sigrön. Unterdessen schaffte die Bildersammlung unbeschadet und unentdeckt den Weg nach Hamburg. Speers Büroleiter Karl Maria Hettlage wusste ein erstklassiges Versteck für die »Kapitallebensversicherung« seines einstigen Chefs: den Tresorraum der Commerzbank, deren Vorstandsmitglied er seit 1938 war. Und damit auch später die britische Besatzungsmacht keinen Verdacht schöpfte, wurden die Bilder unter dem Namen »Robert Frank« eingelagert – Speers Freund und De-facto-Treuhänder. Sie sollten in den nächsten Jahre dort unbemerkt lagern und die Wirren der Nachkriegszeit im besetzten Deutschland schadlos überstehen. Niemand interessierte sich für die Verwahrstücke eines Unbekannten in einem dunklen Schließfach einer Hamburger Großbank in Rathausnähe. Die Zeit war ein verlässlicher Komplize. Erst Anfang August 1948 wurden die Bilder aus der Versenkung geholt – nach über drei Jahren im Untergrund. Zu diesem Datum waren die »unter dem Namen von Herrn Generaldirektor Robert Frank verwahrten Stücke … neu verpackt und an dem gleichen Tage ausgeliefert worden«, wie Hettlage fünf Jahre später, am 15. Februar 1953, in einem Brief an Speers Anwalt Werner Schütz erklärte.
Dr. Robert Frank wohnte inzwischen mit seiner Frau Marguerite in Eschweiler bei Aachen und wurde alsbald vom Bundesminister für Wirtschaft an die Spitze eines Gutachterausschusses zur Regelung der Streitigkeiten zwischen Ruhrbergbau und Elektrizitätsversorgung berufen. Er war ein gefragter Mann in der Energiewirtschaft. Wie die Bilder hatten auch die Franks die Nachkriegswirren unbeschadet überstanden und verwahrten die rund drei Dutzend Kunstwerke in großen Holzkisten in ihrem Keller. Sie waren nun im Besitz einer wertvollen Bildersammlung, deren Eigentümer im Spandauer Alliiertengefängnis seine zwanzigjährige Haftstrafe absaß und sich um das Schicksal seiner versteckten Wertgegenstände eigentlich nicht sorgen musste. Speers kostbares Geheimnis war in besten Händen – scheinbar.
Meine Bilder, deine Bilder oder: Der Diebstahl
Doch etliche Jahre nach dem Abtransport aus der Commerzbank entbrannte ein heftiger Streit um die Bildersammlung zwischen dem internierten Speer und seinem alten »Freund« Robert Frank. Denn es zeigte sich, dass Begriffe wie »Schenkung«, »Überlassung« und »Verwahrung« durchaus variabel interpretiert werden, sobald enorme Vermögenswerte im Raum stehen – eine Zerreißprobe für so manche Freundschaft. Zum Jahresende 1951 befand sich Albert Speers Familie zunehmend unter finanziellem Druck. Ehefrau Margarete und die sechs Kinder im Alter zwischen neun und siebzehn Jahren waren auf jede Unterstützung angewiesen und hielten sich nur dank
Weitere Kostenlose Bücher