Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
hatte der verurteilte Kriegsverbrecher die Zukunft bereits strategisch geplant. Seine organisatorischen Fähigkeiten hatten ihn einst als Rüstungsminister zu einem brutal effizienten Manager des Krieges gemacht. Jetzt strebte Albert Speer einer dritten Karriere entgegen – nach der als Stararchitekt und Minister: Schriftsteller, Kronzeuge, Medienstar. Seine gesamte Energie galt von nun an der Wiederherstellung seines Rufs. Und Speer unternahm nichts, was dieses Vorhaben hätte gefährden können. Somit stellte er auch keinerlei Nachforschungen zum Verbleib seiner versteckten Bilder an – aus Angst vor öffentlichem Aufsehen.
Schon die Entlassung zur mitternächtlichen Stunde vermittelte einen Eindruck von seinem künftigen Stellenwert als öffentliche Person. Hunderte Sympathisanten mit Begrüßungsbannern salutierten seiner Wagenkolonne auf dem Weg in die Freiheit, Heerscharen von Kamerateams und Journalisten aus aller Welt lechzten nach einem Blick auf Hitlers Liebling; sie hingen bei der kurzen Pressekonferenz an seinen Lippen und saugten jedes seiner unbeholfen wirkenden Worte ein. Albert Speer musste spüren, dass die Welt sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte – als Anekdotenlieferant und letzte Instanz aus dem Zentrum einer Lichtjahre zurückliegend wirkenden, mörderischen Diktatur. Sein properes Erscheinungsbild, seine Wirkung als Gentleman und sein Auftreten als Gegenentwurf zu anderen verbohrten, einfach gestrickten Nazi-Granden katapultierten ihn sofort in eine Position, die es ihm leicht machte, sich gleichsam als der »gute Nazi« zu präsentieren. Niemals wurde er müde, seine allgemeine Verantwortung für die Schreckenstaten der Hitler-Regierung zu betonen und somit öffentlich die von ihm erwartete Rolle des Geläuterten zu spielen. Aber ein Eingestehen seiner persönlichen Schuld in Sachen Mitwisser- und Mittäterschaft: Fehlanzeige.
»Letzte Instanz aus dem Zentrum der Diktatur«: Albert Speer und seine Ehefrau auf dem Weg zu einer Pressekonferenz nach der Entlassung aus dem Spandauer Gefängnis, 1. Oktober 1966.
ullstein bild, Berlin (dpa)
Die Verteidigungslinie, die ihm schon 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher den Hals gerettet hatte, behielt er nun in Freiheit mit eiserner Disziplin bei. Damals hatte er – als einziger von 24 Angeklagten – seine generelle Schuld als Mitglied des Schreckensregimes eingestanden, sich mit einem beeindruckenden Auftreten vor Gericht als Geläuterter präsentiert, bedrohliche Fakten verschwiegen und gefällige hervorgehoben sowie alte Weggefährten erheblich belastet. Das brachte ihm zwar deren Feindschaft ein, aber auch die Gunst der alliierten Richter. Speer gelang es tatsächlich, seine Täterschaft und sein Wissen um den Massenmord an den Juden erfolgreich zu vertuschen. Er stellte sich gar als Retter dar, der in den letzten Kriegsmonaten Schlimmeres verhindert habe und dem zum Hinterlassen verbrannter Erde bereiten wahnsinnigen »Führer« in den Arm gefallen sei. Statt wie einige Mitangeklagte durch den Strang hingerichtet zu werden, sicherte ihm seine Strategie immerhin das Überleben. Nun, nach seiner Freilassung, spannte er die Medien geschickt für sein gebetsmühlenartig wiederholtes Mantra »mea culpa« ein. Er verschanzte sich hinter einem penetranten »ich hätte wissen können, wenn ich hätte wissen wollen« und schaffte es damit, Kritik an seiner Person, seiner Rolle und seiner Schuld im Keim zu ersticken.
Während der gleichzeitig entlassene Baldur von Schirach, der ehemalige »Reichsjugendführer«, sich von Redakteuren des Stern abschotten ließ und per Exklusivvertrag seine Lebensgeschichte einmalig verschleuderte, ging Hitlers Rüstungsminister nach einem generalstabsmäßigen Plan vor. Bereits zwei Jahre vor Ende seiner Haft hatte das Genie der Anpassung die Weichen für die Zeit nach dem Tag der Entlassung gestellt. Mit dem Verleger Wolf Jobst Siedler, damals Chef des Ullstein Verlags, einigte er sich auf eine baldige Veröffentlichung seiner Erinnerungen , die 1969 alle Verkaufsrekorde brechen sollten. Speer war schlau und visionär genug zu wissen, dass seine Memoiren für ihn ein gigantisches Potenzial besaßen: Deutungshoheit über seine eigene Geschichte mit dem Effekt der Rehabilitierung, soziale Anerkennung sowie nicht zuletzt finanzielles Wohlergehen. Und dazu würde er noch nicht einmal das Wiedererlangen seiner Bildersammlung benötigen.
Albert Speer hat für unsere deutsche Gesellschaft – und
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