Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
skurrilen Weltanschauungen ansehen? Oder gar als Idealisten und Romantiker? Die sexuellen Gelüste, voyeuristischen Neigungen und daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen Himmlers dürfen nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er einer der gefährlichsten und mächtigsten Politiker im »Dritten Reich« war. Zusammen mit Hermann Göring, Joseph Goebbels und Martin Bormann gehörte er zum engsten Führungskreis des NS-Regimes. Was befähigte ihn dazu? Wie konnte ein Mann wie Himmler, blass und durchschnittlich, pedantisch und versponnen, zu solch einer Machtfülle gelangen? Auf der Suche nach dem Geheimnis dieser erstaunlichen Karriere trifft man auf einen Mann, der von Ehrgeiz getrieben war, gleichzeitig aber ein sehr gutes Gespür dafür hatte, wer ihm nutzen und wer ihm gefährlich werden konnte. Laut dem Historiker Peter Longerich ließ sich Himmler nie von seinen Träumereien davontragen, »sondern war in der Lage, ideologische Höhenflüge effektiv mit Machtpolitik zu verbinden und die politischen Machtkämpfe der NSDAP für sich zu nutzen, wie er überhaupt einem extremen Utilitarismus anhing. Was ihm nützte, war statthaft.« Die Tatsache, dass er sich von einer weltanschaulichen Konsequenz leiten ließ, machte ihn zu einem gefährlichen Überzeugungstäter. Für seine Karriere und für seine Weltanschauung ging er über Leichen.
»Brennend auf Aktionen«: Himmler (Bildmitte, mit Fahne) am 9. November 1923 als Kämpfer des Wehrverbands »Reichsflagge« während des Hitler-Putsches in München.
bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Berlin (Bayerische Staatsbibliothek/Archiv Heinrich Hoffmann)
Aus heutiger Sicht ist es schwer nachzuvollziehen, wie ein Mann aus gebildetem und bürgerlichem Elternhaus so selbstverständlich zum Gewalttäter werden konnte. Vieles, wenn auch nicht alles, erklärt sich aus seinem Werdegang. Heinrich Himmler wuchs im Ersten Weltkrieg auf und träumte – wie so viele junge Männer damals – davon, in den Kampf zu ziehen. 1918 meldete er sich, erst siebzehn Jahre alt, freiwillig zur bayerischen Armee. Zu seinem Leidwesen war der Krieg zu Ende, ehe er an der Front eingesetzt werden konnte. »Für den verhinderten Helden Heinrich bedeutete die fehlende Frontbewährung nicht nur eine große Enttäuschung, sondern vermutlich erschien sie ihm zeitlebens als Makel«, mutmaßt Katrin Himmler. »Die Sehnsucht nach heldenhafter Bewährung, die romantisch-mythischen Vorstellungen vom Soldatenleben konnten so ungebrochen in ihm weiterblühen.«
Nach der militärischen Niederlage geriet die bis dahin geltende Staatsordnung aus dem Gefüge. Im Herbst 1918 brach die Revolution aus und erfasste ganz Deutschland. Das Kaiserreich fiel in Trümmer, Wilhelm II. dankte ab und floh ins Exil. Auch der bayerische König Ludwig III. wurde gestürzt – sehr zum Leidwesen der Familie Himmler. Heinrichs Vater pflegte gute Beziehungen zum bayerischen Hof, einer der Wittelsbacherprinzen war Pate und Namensgeber von Heinrich. Diese Verbindung, von der man sich Vorteile versprach, war nun wertlos. In allen größeren Städten bildeten sich Räteregierungen, Deutschland wurde über Nacht Republik, während sich in den Straßen von Berlin und München linke Gruppierungen verschiedener Couleur, Regierungstruppen und Freikorpssoldaten Gefechte lieferten. In dieser bürgerkriegsartigen Gemengelage galten Heinrich Himmlers Sympathien den Rechten. Als im April 1919 in Bayern die Räterepublik ausgerufen wurde, schloss sich Heinrich den bayerischen Freikorps an. Diese marschierten im Mai zusammen mit Einheiten der Reichswehr auf München zu. Es kam zu blutigen Kämpfen und Grausamkeiten auf beiden Seiten. Insgesamt forderten die Kampfhandlungen bis zur Niederschlagung der Räterepublik am 3. Mai 1919 mehr als 600 Tote, gut die Hälfte waren Zivilisten. Ob Heinrich persönlich an den Kämpfen beteiligt war, wie seine Großnichte glaubt, ist umstritten. Doch die Ereignisse in München sind ein Spiegelbild des Zeitgeistes, in dem Heinrich groß wurde. Der Krieg hatte zur Verrohung der Gesellschaft beigetragen. Dass politische Konflikte auch im eigenen Land mit Waffen und Gewalt ausgetragen wurden, war damals selbstverständlich.
Heinrich Himmler, inzwischen Student an der Technischen Hochschule in München, trat einer der Reserveeinheiten der Reichswehr bei, die nach der Niederschlagung der Revolution in München gebildet worden waren, beteiligte sich an Alarm- und
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