Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
wurden bis Ende 1939 von Himmlers Leuten ermordet. Gleichzeitig witterte Himmler die Chance, die SS-Siedlungspolitik auf die eroberten Gebiete auszudehnen. Er jubilierte, als der »Führer« ihn im Oktober 1939 zum »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« ernannte. Nun glaubte er die Machtfülle zu haben, um die »völkische Neuordnung« Europas voranzutreiben. In Polen wollte er damit beginnen. Sein Plan sah vor, Völker wie Spielfiguren über die Landkarte zu schieben. Um die neu besetzten Gebiete germanisieren zu können, mussten »gutrassige« Menschen dort angesiedelt werden. Dafür sollten Juden und missliebige Polen vertrieben werden. Die Zahlen, mit denen Himmler jonglierte, waren gigantisch. Er plante, »aus dem Altreich bzw. aus den neu besetzten Ostgebieten … zunächst bis Februar 1940 rund 1000000 Juden und Polen zu evakuieren«, wie Longerich schreibt. Tatsächlich wurden bis Anfang 1941 mehr als 300000 Polen und Juden aus den eingliederten Ostgebieten in das Generalgouvernement abgeschoben. Bald geriet das Programm jedoch ins Stocken oder sorgte für Chaos. Zumal für die neu anzusiedelnden »gutrassigen« Volksdeutschen aus Bessarabien, der Bukowina, der Dobrudscha oder auch für Südtiroler nicht genügend Höfe zur Verfügung standen. Hunderttausende von ihnen saßen in Umsiedlerlagern fest.
Der Krieg gegen die Sowjetunion gab dem gigantischen Umsiedlungsprogramm Himmlers jedoch eine neue Dimension. Dieser Feldzug war von Anfang an als weltanschaulicher und rassistischer Vernichtungskrieg geplant. »Die Vision einer gewaltsamen kolonialen Landnahme im Osten, die er für die SS als Zukunftsaufgabe skizziert hatte, schien plötzlich in greifbare Nähe zu rücken«, schreibt Peter Longerich.
Himmler wollte mit seiner SS eine Schlüsselrolle spielen. Von Anfang an waren für ihn »die Massenmorde an den Juden Bestandteil einer sehr viel breiter angelegten völkischen Neuordnungspolitik«, wie Longerich betont. Sein eigentliches Ziel war letztlich, »seiner SS die zentrale Rolle bei der Errichtung des nationalsozialistischen Lebensraum-Imperiums und sich selbst eine historisch einmalige Position zu sichern«. Vom 11. bis zum 15. Juni 1941 berief er die höchste SS-Führung auf die Wewelsburg ein, um sie persönlich auf ein Vernichtungswerk einzustimmen. Bei diesem Treffen nannte Himmler die Zahl von 30 Millionen Menschen, um welche die Bevölkerung der Sowjetunion »dezimiert« werden müsse, um Platz für bis zu 30 Millionen deutsche Wehrbauern zu machen. In seinem Auftrag erarbeiteten SS-Leute den Generalplan Ost, ein gigantisches Vertreibungs-, Umsiedlungs- und Ausrottungsprogramm. Am 15. Juli 1941 legte Himmler eine Planskizze vor.
»Völkische Neuordnung Europas«: Heinrich Himmler besucht im September 1939 eroberte Gebiete in Polen.
bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Berlin (N.N.)
Tags darauf erlitt er jedoch eine bittere Niederlage. Hitler übertrug am 16. Juli 1941 dem neu ernannten Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, die politische Verwaltung der eroberten Gebiete. Himmler sollte die Gebiete lediglich polizeilich sichern, nicht gestalten. Die »Festigung deutschen Volkstums«, für die er seit dem Polenfeldzug zuständig war, sollte nicht für die besetzten sowjetischen Gebiete gelten. Beharrlich handelte Himmler aber auch weiterhin so, als ob die ethnische »Neuordnung« des Ostens seine Aufgabe sei. Dabei ging es nicht nur um Siedlungsmaßnahmen, sondern auch um die »Ausschaltung des schädigenden Einflusses von … volksfremden Bevölkerungsteilen«. Noch war die Entscheidung über den Holocaust nicht gefallen, noch schwirrten Pläne für die Massenevakuierung von Juden nach Madagaskar durch die Köpfe in Himmlers Reichssicherheitshauptamt. Da aber die Umsiedlungsaktionen in Polen weitgehend gescheitert waren, wollte Himmler jetzt radikaler vorgehen. Er beschloss, ganze Regionen »judenfrei« zu machen: »durch Massenexekutionen sowie durch Ghettoisierung derer, die noch als Zwangsarbeiter auszupressen waren«, wie Longerich schreibt. Der Mord an den Juden sollte das Mittel sein, um Hitler mehr Kompetenzen im Osten abzuringen. Er konnte sich sicher sein, damit Hitlers Wohlwollen zu ernten. Im Sommer 1941 hatte Hitler die Verfolgung der Juden radikalisiert, am 18. August wurde der Judenstern eingeführt. Als die deutsche Wehrmacht im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, begannen gleich hinter der Front die Massaker der
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