Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
SS.
»Äußerste Brutalität«: Angehörige einer SS-Einsatzgruppe erschießen am 20. Oktober 1939 in der polnischen Stadt Kórnik Geiseln.
Bundesarchiv Koblenz (Bild 146-1968-034-19A)
»H. ruft oft an. Er ist gesund. Der Krieg geht herrlich vorwärts. Alles verdanken wir dem Führer. Und die Menschen sind oft zu klein.«
Margarete Himmler, Tagebuch, 26. Oktober 1941
Unermüdlich und eigenmächtig reiste Himmler in den folgenden Wochen zu den SS-Mordkommandos nach Osteuropa. Er kam mit dem Flugzeug, in Sonderzügen oder mit dem Auto, um seine Leute anzufeuern. Himmler-Biograf Peter Longerich hat Himmlers Reiseroute anhand seines Dienstkalenders rekonstruiert und mit den Berichten der Einsatzgruppen verglichen. Das Ergebnis ist erschreckend. Wo Himmler reiste, zog er eine Blutspur hinter sich her. Fast überall, wo der »Reichsführer SS« Station machte, schnellten anschließend die Opferzahlen dramatisch in die Höhe. Darüber hinaus traf die systematische Verfolgung auf einmal nicht nur Juden und Partisanen, sondern auch gezielt Frauen und Kinder. So führte eine Reise nach Riga am 31. Juli 1941 dazu, dass die Massenmorde an Juden in Litauen und Lettland ausgeweitet wurden. »Das Einsatzkommando 3 ging, wie der ausführliche Bericht des Kommandoführers Karl Jäger zeigt, ab dem 5. August dazu über, mit Unterstützung litauischer Hilfskräfte unterschiedslos Männer, Frauen und Kinder zu erschießen«, so Longerich. Anschließend flog Himmler nach Baranowicze weiter und gab den SS-Kavalleristen Richtlinien: »Ausdrücklicher Befehl des RFSS. Sämtliche Juden müssen erschossen werden. Judenweiber in die Sümpfe treiben.« Als er sich über unzureichende Säuberungen im Bereich des »Höheren SS- und Polizeiführers Rußland-Süd« beschwerte, schoss auch hier die Mordrate nach oben. So wurden etwa Ende August in Kamenez-Podolsk binnen drei Tagen 23600 Menschen ermordet, es kam zu Massakern in Berditschew und Shitomir. Ende September wurden 33771 Kiewer Juden in Babi Jar hingerichtet. Am Ende des Jahres wurden Vorbereitungen für den Bau von Massenvernichtungslagern getroffen.
Heinrich Himmler war keineswegs ein Schreibtischtäter: Er hielt sich, so oft er konnte, an der Front und bei seinen Truppen auf. Und er wusste genau, was er anrichtete. Am 15. August 1941 stand in Minsk der Programmpunkt »Exekution« von »Partisanen und Juden« auf dem Reiseablauf. Himmler beobachtete die Massenerschießung, offenbar mit den kalten Augen eines Technokraten: »Nach der ersten Salve kam Himmler direkt zu mir her und schaute selbst in die Grube«, berichtete nach dem Krieg ein Leutnant der Schutzpolizei. »Dabei beobachtete er, daß noch einer lebte. Er sagte zu mir: ›Leutnant, schießen Sie auf den!‹« Gesagt, getan. »Himmler blieb dabei neben mir stehen … Das Ganze war für Himmler und sein Gefolge praktisch ein Schauspiel.« Das offenbar so »spannend« zu sein schien, dass ein Kameramann aus Himmlers Gefolge die Szene filmte. Am 19. November hieß es in Himmlers Dienstkalender: »Abendessen im Zug. Wochenschau u. Film von Minsk.«
Peter Longerich kommt zu dem Schluss, dass Himmler, nachdem er in der Besatzungspolitik zurückstecken musste, »alles nur Mögliche unternommen hatte, um die Massenexekutionen von Juden in der Sowjetunion … zu einem flächendeckenden Genozid zu erweitern: Die entscheidende Initiative, zum systematischen Mord an der jüdischen Zivilbevölkerung überzugehen, war in allen Einsatzgebieten seiner Einheiten jeweils von ihm selbst ausgegangen.« Mehrfach bekundete er seinen Entschluss in der Öffentlichkeit. So sagte er am 24. Mai 1944 in Sonthofen vor Generälen der Wehrmacht: »Ich habe mich nicht für berechtigt gehalten – das betrifft nämlich die jüdischen Frauen und Kinder –, in den Kindern die Rächer groß werden zu lassen, die dann unsere Väter und unsere Enkel umbringen. Das hätte ich für feige gehalten. Folglich wurde die Frage kompromißlos gelöst.« Laut Longerich ist damit bewiesen, dass Himmler »die Entscheidung zur Ermordung von Frauen und Kindern tatsächlich in eigener Verantwortung getroffen hat«. Wohl wissend, dass Hitler, der fortlaufend Berichte von den Morden erhielt, sein Handeln gutheißen würde. Der »Führer« selbst erinnerte wiederholt an seine Rede vom 30. Januar 1939, in der er »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« prophezeit hatte, und sagte einmal zu Himmler: »Es ist gut, wenn uns der Schrecken vorangeht, daß wir das
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