Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
brauchten Leute, die sie versteckten und mit Nahrung versorgten, die sie führten, die Nachschub besorgten und ihnen halfen, Hinterhalte zu legen. Die griechische Bevölkeruung auf Kreta spielte also eine Schlüsselrolle.
Roderick Bailey, Historiker
Die gesamte Aktion hatte bis dahin nur eine Minute gedauert. Von nun an waren die Entführer mit ihrem Opfer auf der Flucht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kommando planmäßig und geschickt gehandelt. Insgesamt waren neun verlässliche Kreter mit eingebunden worden. Einige hatten den Angriffsort gesichert und abgeschirmt. Andere hatten mit Taschenlampen signalisiert, dass der General sich näherte und keine anderen Fahrzeuge in der Nähe waren – all das war häufig geübt worden. Die Merkmale des Wagens, in dem der General fuhr, waren vorher durch Beobachtung aufgeklärt worden, so konnte sein Fahrzeug eindeutig identifiziert werden. In der Kurve hatten die Angreifer für einige Minuten die »relative Überlegenheit« und nutzten sie, um zuzuschlagen. In der Dunkelheit boten sich Rückzugsmöglichkeiten. Tollkühn war indes, dass die Entführer nun Kreipes Wagen nutzten, um ihr Opfer vom Tatort fortzubringen – die Fahrt ging durch die Stadt Heraklion in Richtung Rethymnon, vorbei an 22 deutschen Kontrollpunkten, wie Leigh Fermor in seinem Bericht vermerkt. Die meisten Wachen hatten strammgestanden und salutiert: Nur an einem Kontrollpunkt habe man sie anhalten wollen, doch Moss sei stur weitergefahren. Hilfreich war gewiss, dass am Wagen der Generalsstander flatterte.
»Ihr kommandierender General wurde entführt«: Das von den Kidnappern am Tatort zurückgelassene Schreiben.
The National Archives, Kew
In der Nähe des Bergdorfs Anogia hielt der Fluchtwagen schließlich an. General Kreipe wurden die Fesseln abgenommen; er gab sein Ehrenwort, nicht zu fliehen. »Nach dem ersten Schock schien er das ›fait accompli‹ fatalistisch zu akzeptieren. Ich informierte ihn, dass er von britischen Offizieren ehrenhaft gefangen genommen worden war und auch so behandelt werden würde«, schrieb Leigh Fermor in seinem Bericht. Moss, der General und zwei Kreter machten sich zu Fuß auf den Weg in die Berge. Leigh Fermor und ein kretischer Kamerad fuhren den Wagen anschließend an die Nordküste und stellten ihn dort unversehrt ab. Im Auto ließen sie einen britischen Militärmantel als Beweisstück für die Urheberschaft der Tat zurück – und einen Brief: »Gentlemen: Ihr kommandierender General wurde von einer britischen Sondereinheit unter meinem Kommando entführt. Wenn Sie dies lesen, wird er schon auf dem Weg nach Kairo sein. Wir wollen besonders betonen, dass diese Operation ohne Hilfe von Kretern und kretischen Partisanen durchgeführt wurde; als ortskundige Führer wurden lediglich Männer eingesetzt, die Soldaten Seiner griechischen Majestät sind. […] Jegliche Sühnemaßnahmen gegen die örtliche Bevölkerung wären unangebracht und ungerecht. Auf baldiges Wiedersehen! Gezeichnet: Leigh Fermor, Major und Kommandeur der Sondereinheit. Moss, Hauptmann der Coldstream Guards . PS: Wir bedauern, dass wir dieses Auto zurücklassen mussten.«
»Geburtsort des Zeus«: Die Entführer und ihre Geisel überqueren auf dem Weg an die Südküste das schneebedeckte Ida-Gebirge.
Ullstein Bild, Berlin (TopFoto)
Der Brief zeugte davon, dass die Briten sich Sorgen wegen der deutschen Reaktion machten. Kreta war strategisch äußerst wichtig, die Wehrmacht wollte die Kontrolle über die Insel um jeden Preis behalten und hatte zwei Divisionen dort stationiert. Auf fünf Kreter kam ein Wehrmachtsoldat, insgesamt waren es 30000 Mann. Und ein Großteil würde nun ausschwärmen und ihren General suchen. Und sie würden Druck auf die Zivilbevölkerung ausüben, um Informationen zu erhalten – wenn nötig, mit Gewalt. Noch war die Operation nicht gelungen. Der Gefangene musste versteckt werden und im Fußmarsch in den Süden Kretas gebracht werden – dort gab es nur wenige Straßen, eine felsige Küste und etliche isolierte Buchten. Von einer dieser Buchten sollte ein Boot General Kreipe und seine Entführer abholen.
An alle Bewohner Kretas: Wenn der General nicht innerhalb von drei Tagen freigelassen wird, werden sämtliche rebellierenden Dörfer im Gebiet von Heraklion dem Boden gleichgemacht: Gegen die Zivilbevölkerung werden strengste Maßnahmen ergriffen.
Deutsches Flugblatt
Kreta ist eine große Insel, über 250 Kilometer lang und 40 Kilometer breit: Das Ida-Gebirge
Weitere Kostenlose Bücher