Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
türmt sich in ihrer Mitte auf und musste von dem Kommando überwunden werden, um nach Süden zu gelangen. Ende April waren die Berge noch schneebedeckt; um deutschen Suchtrupps zu entgehen, wählten die Flüchtenden einen Pass über den Berg, statt ihn auf bewährten, aber bekannten Pfaden zu umgehen. Leigh Fermor registrierte mit Respekt, dass der 49-jährige General diese Strapaze klaglos überstand und alle Herausforderungen bewältigte. Fieseler-Storch-Aufklärungsflugzeuge der deutschen Luftwaffe kreisten über der Insel und suchten die Briten, außerdem warfen sie Flugblätter ab, auf denen sie die Kreter vor einer Zusammenarbeit mit den Entführern warnten und mit Repressalien drohten.
Es gab zwei wenig hilfreiche Vorkommnisse: Zum einen verlor der Gefangene auf dem Marsch in der ersten Nacht sein Ritterkreuz; wir taten alles, um es wiederzufinden. Zum anderen stürzte er zuerst von einem Maultier und später von einem Abhang und verletzte seine Schulter.
Bericht von Leigh Fermor, 16. Mai 1944
Leigh Fermor entschied nach der Bergüberquerung, nur noch nachts zu marschieren und sich tagsüber in Höhlen und leer stehenden Hirtenhütten versteckt zu halten. Bei diesen nächtlichen Märschen verstauchte sich der General einen Fuß; als er einen Teil der Strecke auf einem Maultier ritt, stürzte er. Schließlich fiel er im Dunkeln von einer Felskante und brach sich die Schulter. Doch es ging weiter. Ein Netzwerk von ortskundigen griechischen Helfern spähte das Terrain aus und erkundete, ob die Wegstrecke von Deutschen kontrolliert wurde. Erst wenn dies nicht der Fall war, signalisierten Feuer, dass der Marsch weitergehen konnte. »Eines werde ich den Kretern immer hoch anrechnen: Obwohl Hunderte wussten, wo wir waren, wurde das Geheimnis treu bewahrt. Unser Marsch war eine Art königliche Prozession, bei der wir auf viel Enthusiasmus stießen und immer wieder beglückwünscht wurden«, schrieb Leigh Fermor in seinem Bericht. Das Prinzip der »Security« – also der Geheimhaltung – wurde bei diesem Spezialeinsatz überraschenderweise perfekt eingehalten.
»Alle Strapazen klaglos überstanden«: General Kreipe (Bildmitte), neben ihm Moss (links) und Leigh Fermor (rechts) während einer Rastpause.
Ullstein Bild, Berlin (TopFoto)
Auf der Flucht mussten lange Wartepausen eingelegt werden, um nicht den Suchtrupps in die Hände zu fallen. Um Funkkontakt mit dem SOE -Hauptquartier in Kairo aufzunehmen, verließ Leigh Fermor am 10. Mai die Gruppe – bis zu zwei Tagesmärsche waren notwendig, um eines der Funkgeräte ausfindig zu machen, die die SOE bei kretischen Widerstandskämpfern deponiert hatte. Per Funk wurde dann vereinbart, wo und wann die Gruppe mit Kreipe an der Küste abgeholt werden konnte. Nach 18 Tagen Flucht war es so weit. Ein Vorauskommando erkundete den Strand bei Rodakino, dann folgten die Entführer mit ihrem inzwischen angeschlagenen Opfer. Am Abend des 14. Mai kamen sie in der Bucht von Rodakino an, um 23 Uhr holte ein Boot der Royal Navy sie ab und stach in Richtung Marsa Matruh in Ägypten in See. »Der General verhielt sich in der ganzen Zeit sehr freundlich und kooperativ; er bewies bei der Bergtour und beim rauen Leben in der Wildnis Stärke. Er versuchte zu keinem Zeitpunkt zu fliehen«, lobt Leigh Fermor General Kreipe. »Wir versorgten ihn mit warmer Kleidung, Essen und Getränken sowie Schlafmöglichkeiten, so gut wir es unter den Umständen konnten. Er wurde von uns und unseren Leuten mit dem notwendigen Respekt behandelt. Ich glaube, der General verstand dies und zeigte sich dankbar.« Beim Anblick des Berges Ida – der griechischen Legende nach der Geburtsort des Zeus – zitierte Kreipe eines Abends eine Ode von Horaz, berichtete Leigh Fermor später. Er selbst, ebenfalls humanistisch gebildet, habe das Gedicht dann in Latein zu Ende gesprochen.
»Tödliches Abenteuer«: Kreipes Fahrer Alfred Fenske mit dem Wagen des Generals vor den Ruinen von Knossos. Fenske wurde von Partisanen umgebracht.
Privat
War also die Operation lediglich ein Abenteuer, das gemeinsam von ritterlichen Gegnern bestanden werden musste? War die SOE ein Tummelplatz für – oftmals adelige – Abenteurer, die den Krieg sportlich nahmen und sich als Gentlemen erwiesen? Nicht ganz: Zu den hässlichen Seiten der Entführung auf Kreta gehört, dass der Fahrer des Generals, der 30-jährige Unteroffizier Alfred Fenske, das Abenteuer nicht überlebte. Er war bei der Entführung so schwer geschlagen
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