Geheimnisse einer Sommernacht
so wunderbare Momente, dass man sich selbst vergisst und nur dem anderen nahe sein will.“
Eine Weile schwiegen die beiden Schwestern nachdenklich.
„Und wie lange dauert es?“, wollte Daisy schließlich wissen.
Annabelle wurde tiefrot. „Manchmal nur ein paar Minuten., manchmal ein paar Stunden.“
„Ein paar Stunden?“, wiederholten die beiden völlig überrascht wie aus einem Mund.
Lillian rümpfte entrüstet die Nase. „Mein Gott, das klingt ja schrecklich.“
Annabelle musste lachen. „Es ist nicht schrecklich. Im Gegenteil, es ist herrlich.“
Lillian schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde meinen Mann dazu bringen, dass er schnell damit fertig wird. Es gibt bestimmt schönere Dinge, als nur deshalb stundenlang im Bett zu liegen.“
Annabelle lächelte wieder versonnen. „Dieser geheimnisvolle Gentleman, der einmal dein Ehemann sein soll, erinnert mich daran, dass wir uns einen Plan für unser nächstes Vorhaben überlegen sollten. Die Saison beginnt nicht vor Januar, also bleiben uns noch ein paar Monate.“
„Daisy und ich brauchen unbedingt eine adelige Sponsorin“, seufzte Lillian. „Und vor allem jemanden, der uns Unterricht in Etikette gibt. Leider hast du ja durch deine Ehe mit einem Bürgerlichen keinen richtigen gesellschaftlichen Einfluss mehr. Wir sind unserem Ziel also keinen Schritt näher gekommen.“ Sie dachte einen Moment nach und fügte dann hastig hinzu: „Das war nicht böse gemeint, Annabelle.“
„Habe ich auch nicht so verstanden“, beruhigte Annabelle sie. „Allerdings hat Simon einige adelige Freunde, Lord Westcliff zum Beispiel.“
„Nein! Mit dem will ich nichts zu tun haben“, lehnte Lillian strikt ab.
„Wieso denn nicht?“
Lillian zog die Brauen zusammen und sah ihr Gegenüber so überrascht an, als könne sie nicht verstehen, dass sie das noch erst erklären musste. „Weil er der unausstehlichste Mann ist, dem ich jemals begegnet bin.“
„Aber Westcliff ist von sehr hohem Adel“, versuchte Annabelle ihr den Earl schmackhaft zu machen. „Und er ist Simons bester Freund. Ich mag ihn auch nicht besonders, aber er könnte uns sehr nützlich sein. Er gehört zu Englands ältestem Adel, blaueres Blut als seines gibt es nicht.“
„Das weiß er auch“, antwortete Lillian. „Aber trotz all seiner populistischen Sprüche kann er doch nicht verhehlen, dass er im Grunde der Adlige geblieben ist, dem es ungeheuren Spaß macht, eine Schar von Speichelleckern herumzukommandieren.“
„Ich frage mich, weshalb Westcliff eigentlich noch nicht verheiratet ist. Ungeachtet seiner Marotten ist er doch ein kolossaler Fang“, meinte Daisy.
„Ich würde jubeln, wenn den endlich jemand an der Angel hat“, meinte Lillian. Die beiden anderen lachten.
Obwohl während der wärmeren Sommermonate alles, was Rang und Namen hatte, London verließ, stagnierte das Leben in der Stadt keineswegs. Bis zum 12. August, dem Beginn der Sommerpause für das Parlament und gleichzeitig der Eröffnung der Jagdsaison auf Moorhühner, war die gelegentliche Anwesenheit der adeligen Parlamentsmitglieder in den Nachmittagssitzungen des Oberhauses erforderlich. Während die Männer im Parlament waren oder ihre Klubs aufsuchten, machten ihre Frauen Einkäufe, besuchten Freunde oder schrieben Briefe.
Abends nahmen sie gemeinsam Dinnereinladungen wahr oder waren Gast auf Soireen und Bällen, die meist bis in die frühen Morgenstunden dauerten. So war seit eh und je der Tagesablauf von Aristokraten und all jener, die sich zu diesem Stand zuge hörig fühlten: Geistliche, Marineoffiziere und Mediziner.
Schnell musste Annabelle feststellen, dass ihr Mann trotz all seines Reichtums und seiner wirtschaftlichen Erfolge absolut nicht zu dieser privilegierten Gruppe gehörte. Zu ihrem großen Kummer waren sie deshalb auch des Öfteren von den eleganten Geselligkeiten der Oberklasse ausgeschlossen, an denen sie doch so gern teilnehmen wollte. Ein Adliger lud die Hunts nur in sein Haus ein, wenn er Simon in irgendeiner Weise finanziell verpflichtet oder ein enger Freund von Lord Westcliff war. Annabelle erhielt sehr wenige Besuche von anderen jungen Ehefrauen, mit denen sie früher eng befreundet gewesen war. Zwar stand sie niemals vor verschlossener Tür, wenn sie selbst einen Besuch machte, aber selten wurde sie zum Wiederkommen aufgefordert. Es war unmöglich, die Schranken von Klasse und sozialer Stellung zu überschreiten. Selbst die wegen der Spielleidenschaft ihres Mannes völlig
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