Geheimnisse einer Sommernacht
und den roten Brandfleck am Handgelenk. „Du bist ja verletzt! Was ist passiert?“, rief sie erschrocken und griff nach seiner Hand.
Einen Moment lang sah Simon sie ratlos an. Ihre Reaktion schien ihn zu erstaunen. „Ach, das ist halb so schlimm“, meinte er und hielt ihre Hand fest.
Annabelle befreite sich und kniete sich vor ihn, um den Bluterguss zu untersuchen. „Woher hast du das?“, wollte sie wissen, während sie vorsichtig mit dem Finger um den Rand des blauen Flecks fuhr. „Das ist in der Gießerei passiert, nicht wahr? Simon Hunt, halte dich bitte fern von diesem Ort! All diese Dampfkessel, Kräne und Bottiche, das nächste Mal kommst du vielleicht zerquetscht oder verbrüht oder voller Löcher gestanzt…“
„Annabelle“, unterbrach er sie amüsiert, beugte sich zu ihr hinunter und zog sie an den Ellbogen hoch. „Wenn du so vor mir kniest, kann ich nichts sagen, jedenfalls nicht das, was du jetzt hören willst. Ich kann dir genau erklären, was …“ In seinen dunklen Augen funkelte es seltsam, als er ihren Gesichtsausdruck sah. „Bist du etwa besorgt?“
„Natürlich! Welche Frau wäre das nicht, wenn ihr Mann in diesem Zustand nach Hause kommt.“
Simon drückte leicht seine Hand auf ihren Nacken. „Meinst du nicht, du reagierst etwas zu stark auf einen Bluterguss und eine leichte Verbrennung?“
„Zuerst erzählst du mir, was geschehen ist, dann werde ich entscheiden, wie ich reagiere“, erwiderte sie ärgerlich.
„Vier Männer versuchten, mit langen Zangen eine Stahlplatte aus dem Schmelzofen zu ziehen. Danach mussten sie die Platte auf ein Band legen, auf dem es gerollt und gepresst werden sollte. Die Platte war aber etwas schwerer als erwartet, und als klar wurde, dass sie das verdammte Ding fallen lassen würden, habe ich mir eine dieser Zangen geschnappt und bin ihnen zu Hilfe gekommen, das war’s.“
„Und weshalb keiner der anderen Männer in der Gießerei?“
Simon zog die Schultern hoch. „Ich stand eben am nächsten zum Schmelzofen“, erwiderte er leichthin. „Mit dem Knie bin ich gegen das Band gestoßen, als wir die Platte draufbugsierten, und der Brandfleck …, na ja, da hat mich jemand mit seiner Zange am Arm gestreift. Das ist halb so schlimm, das heilt schnell wieder.“
„Ach, das war alles?“, fragte sie. „In Hemdsärmeln hast du lediglich einige hundert Pfund rot glühendes Eisen gestemmt? Wie dumm von mir, darüber besorgt zu sein.“
Simon beugte sich zu ihr hinunter und streifte mit den Lippen über ihre Wange.
„Meinetwegen musst du dich nicht ängstigen.“
„Doch!“ Annabelle wusste durchaus, dass er mutig war. Er strahlte Stärke und Selbstbewusstsein aus, aber Simon war auch verwundbar und empfindsam. Und je mehr Annabelle bemerkte, wie wichtig ihr sein Wohlbefinden war, desto mehr sorgte sie sich um ihn. Sie entwand sich ihm, und während sie ging, um nach dem Badewasser zu sehen, rief sie ihm über die Schulter zu: „Du stinkst wie ein Eisenbahnzug.“
„Mit einem ausgefahrenen Schornstein“, ergänzte er und folgte ihr ins Bad.
Annabelle schnaubte verächtlich. „Mach keine Witze. Versuch es erst gar nicht. Ich bin nämlich wütend.“
„Warum denn?“, murmelte Simon und umfing sie von hinten. „Weil ich mich verletzt habe? Glaub mir, alles was du an mir liebst, funktioniert noch“, witzelte er und küsste sie dabei auf den Nacken.
Unwirsch löste sich Annabelle aus seiner Umarmung. „Es ist mir überhaupt nicht egal, ob du kopfüber in einen Bottich mit geschmolzenem Eisen springst, wenn du so dumm bist, ohne Schutzkleidung in eine Gießerei zu gehen und …“
„Teufelsbrühe …, so nennen sie das geschmolzene Eisen.“ Seine Finger umkreisten die künstliche, steife Form ihrer Brust unter dem engen Korsett. „Meine Güte, was hast du denn unter diesem Kleid an?“
„Mein neues Korsett.“ Das modische Kleidungsstück aus New York war steif gestärkt über einer Metallform gepresst worden, um ihm mehr Festigkeit zu geben, als sie die konventionell maßgeschneiderten Korsetts besaßen.
„Das mag ich nicht. Ich kann ja gar nicht deine Brüste fühlen.“
„Sollst du ja auch nicht“, sagte Annabelle übertrieben geduldig und verdrehte die Augen zur Decke, als er versuchshalber ihre Brust drückte. „Simon! Dein Bad!“
„Welcher Idiot hat eigentlich diese Korsetts erfunden?“, fragte er grantig, während er von ihr abließ.
„Natürlich ein Engländer.“
„Wie kann es anders sein.“ Er folgte
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