Geheimnisse einer Sommernacht
Burdick leckte sich bereits erwartungsvoll die Lippen. „Warum das Mädchen heiraten, wenn es doch bald fast umsonst zu haben ist?“
„Vielleicht besitzt sie dafür zu viel Ehrgefühl.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte der junge Aristokrat fröhlich. „Frauen, die so schön und so arm sind, können sich kein Ehrgefühl leisten. Außerdem geht das Gerücht, dass sie Lord Hodgeham ihre Dienste schon angeboten hat.“
„Hodgeham?“ Simon war zutiefst erschrocken, dennoch blieb seine Miene ausdruckslos. „Woher haben Sie das Gerücht denn?“
„Ach, Hodgehams Kutsche ist zu nachtschlafender Stunde in der Gasse hinter dem Haus der Peytons gesehen worden …, und ihre Gläubiger sagen, dass er ab und zu ihre Rechnungen bezahlt.“ Burdick kicherte. „Eine Nacht zwischen diesen hübschen Schenkeln ist doch eine Händlerrechnung wert. Oder sind Sie nicht der Ansicht?“
Burdick den Kopf abzuschlagen, war Simons spontaner mörderischer Impuls. Er war sich nicht ganz sicher, was die kalte Wut mehr anfeuerte: die Vorstellung von Annabelle Peyton im Bett mit diesem fetten Lord Hodgeham oder Burdicks abfällige Bemerkung und klammheimliche Freude über den Klatsch, der höchstwahrscheinlich nichts als böse Verleumdung war.
„Meines Erachtens ist das üble Nachrede. Wenn Sie den Ruf einer jungen Dame ruinieren wollen, dann sollten Sie besser gute Beweise für Ihre Äußerungen haben“, sagte Simon in einem gefährlich freundlichen Ton.
„Ach was, Klatsch braucht doch keine Beweise“, erwiderte der junge Mann augenzwinkernd. „Bald wird die junge Dame sowieso ihren wahren Charakter zeigen. Hodgeham besitzt gar nicht die Mittel, so eine Schönheit zu unterhalten. Uber kurz oder lang wird sie mehr wollen, als er ihr bieten kann. Ich sage Ihnen voraus, am Ende der Saison wird sie mit dem Kerl abziehen, der die vollsten Taschen hat.“
„Das wären ja wohl die meinen“, erklärte Simon gelassen.
Burdick blinzelte ihn erstaunt an. Das süffisante Lächeln verging ihm allerdings sofort, als ihm bewusst wurde, was er gehört hatte. „W…Was …?“
„Ich habe beobachtet, wie Sie und diese Horde Idioten, mit denen Sie immer unterwegs sind, ihr zwei Jahre lang nachgeschnüffelt haben“, sagte Simon mit verhaltener Wut. „Jetzt haben Sie Ihre Chance verspielt.“
„Verspielt … Was soll das heißen?“, fragte Burdick entrüstet.
„Das soll heißen, ich werde jedem, der es wagt, in mein Territorium einzudringen, ernsthafte Schmerzen zufügen – in jeder Art: seelisch, physisch und finanziell. Und der Nächste, von dem ich höre, dass er über Miss Peyton irgendwelche Gerüchte in die Welt setzt, die jeder Grundlage entbehren, der bekommt von mir das Maul gestopft – mit meiner Faust.“ Simon verzog das Gesicht zu einer gereizten Drohgebärde. „Das können Sie allen ausrichten, für die es von Interesse sein sollte“, riet er und ließ den aufgeblasenen kleinen Wichtigtuer, der ihn mit offenem Mund anglotzte, einfach stehen.
3. KAPITEL
Von einer älteren Cousine, die manchmal die Anstandsdame spielte, war Annabelle nach Hause gebracht worden.
Als sie durch die leere, geflieste Eingangshalle des Stadthauses ging, sah sie auf dem halbrunden Jakobinertischchen an der Wand den hohen Zylinderhut eines Gentleman liegen. Es war ein besonders auffälliger Hut – grau mit einem Hutband aus burguhderrotem Satin –, nicht so wie die einfachen schwarzen Hüte, die die meisten Gentlemen trugen. Annabelle hatte ihn schon oft auf diesem Tischchen liegen sehen wie eine hässliche zusammengerollte Schlange.
Daneben lehnte ein modisches Stöckchen, der Knauf mit einem Diamant besetzt. Annabelle bekam plötzlich große Lust, mit dem Stöckchen auf den Zylinder einzuschlagen – ganz besonders, wenn der Besitzer ihn auf dem Schädel hatte. Aber sie tat nichts dergleichen, sondern ging ruhig und schweren Herzens die Treppe hinauf.
Als sie die zweite Etage erreichte, in der die Wohnräume der Familie lagen, erschien auf dem obersten Treppenabsatz ein korpulenter Mann. Das Gesicht war noch rosig und feucht von der gerade überstandenen Anstrengung, eine Locke stand wie ein Hahnenkamm aus dem eilig geglätteten Haar empor. Mit einem unverschämt süffisanten Grinsen musterte er Annabelle.
„Lord Hodgeham“, grüßte Annabelle steif. Scham und Wut verschlossen ihr fast die Kehle. Hodgeham gehörte zu den wenigen Menschen, die sie abgrundtief hasste. Selten hatte Hodgeham, der sich einen Freund ihres
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