Geheimnisse einer Sommernacht
ich sie anflehen.“
„Ich werde auch ein gutes Wort für Sie einlegen. Und für Sie, Evie, bekommen wir auch eine Einladung“, erklärte Lillian zuversichtlich.
„Das wird ein Spaß!“, freute sich Daisy. „Wir haben einen Plan. In zwei Wochen werden wir in Hampshire einfallen und einen Ehemann für Annabelle finden.“
Sie reichten sich die Hände und besiegelten so ihren Pakt. Albern und frivol fühlten sie sich, aber vor allem ganz mutig. Vielleicht habe ich Glück, dachte Annabelle und schloss die Augen zu einem kurzen Bittgebet.
2. KAPITEL
Da das Schicksal Simon Hunt von Natur aus weder mit adeligem Blut noch mit Reichtum oder besonderen Begabungen gesegnet hatte, war er gezwungen, sein Glück in einer oftmals unbarmherzigen Gesellschaft selbst zu machen. Er war wesentlich aggressiver und ehrgeiziger als der englische Durchschnittsmann. Seine Mitmenschen fanden es für gewöhnlich weitaus leichter, ihm seinen Willen zu lassen, als ihm zu widersprechen. Simon Hunt war herrisch, vielleicht sogar skrupellos. Nie quälte ihn sein Gewissen. Er handelte stets nach dem Naturgesetz, dass nur der Stärkste überlebt, der Schwächere besser weicht.
Simons Vater war Metzger, von dessen Einkünften die sechsköpfige Familie gut leben konnte. Sobald Simon alt genug war, um ein schweres Hackmesser schwingen zu können, hatte der Vater ihn als Gehilfen mit ins Geschäft genommen. Aus dieser Arbeit resultierten auch Simons kräftige Arme und breite Schultern. Es war wohl erwartet worden, dass der Sohn eines Tages den elterlichen Betrieb übernehmen würde. Aber im Alter von einundzwanzig Jahren enttäuschte Simon seinen Vater und verließ das Geschäft, um sich einen anderen Lebensunterhalt zu suchen.
Er investierte seine wenigen Ersparnisse und entdeckte schnell sein wahres Talent – Geld machen.
Simon liebte die Sprache der Wirtschaft und das Risiko. Er verstand die Wechselwirkung zwischen Handel, Industrie und Politik und erkannte sofort, dass der Ausbau des britischen Eisenbahnnetzes für die Banken ein ungeheures Geschäftspotenzial bieten würde. Transport von Bargeld und Wertpapieren, die Errichtung von sich schnell entwickelnden Investitionspotenzialen würden in der Zukunft wesentlich von den Diensten der Eisenbahn abhängig sein. Seinem Instinkt folgend investierte Simon sein ganzes Geld in Eisenbahnspekulationen und wurde mit enormen Gewinnen belohnt, die er sofort wieder gewinnbringend und weit gestreut anlegte. Nun war er dreiunddreißig und er besaß die Mehrheit an drei Fabriken, eine neun Morgen große Gießerei und eine Werft. Er war Gast — wenn auch ein unerwünschter – in den Ballsälen der High Society und saß Schulter an Schulter mit den Angehörigen des britischen Hochadels in den Aufsichtsräten von sechs Unternehmen.
Nach Jahren unermüdlicher Arbeit hatte Simon fast alles erreicht, was er sich wünschte. Wenn man ihn jedoch gefragt hätte, ob er glücklich sei, dann hätte er nur verächtlich geschnaubt. Glück, dieses schwer definierbare Resultat von Erfolg, war für ihn ein sicheres Zeichen für Zufriedenheit. Aber Simon konnte von Natur aus nie zufrieden sein oder sich bescheiden – er wollte es auch gar nicht.
Und dennoch …, ganz tief in seinem Herzen hatte auch Simon einen heimlichen Wunsch vergraben, einen Wunsch, den er sich bislang noch nicht hatte erfüllen können.
Verstohlen blickte er durch den Ballsaal, und wieder spürte er den seltsamen, kurzen Schmerz, den er immer beim Anblick von Annabelle Peyton empfand. Von all den Frauen, die er haben konnte – und derer waren es nicht wenige – hatte keine mit einem solchen Nachdruck seine Aufmerksamkeit erregt. Annabelles Reize lagen nicht nur in ihrer äußerlichen Schönheit, obwohl sie davon weiß Gott mit einem ungehörigen Überfluss gesegnet war. Hätte Simon nur ein Quäntchen Sinn für Poesie besessen, so hätte er bestimmt Dutzende von blumigen Bezeichnungen erdacht, um Annabelles Schönheit zu beschreiben. Aber er stammte aus dem gemeinen Volk, war ungeschliffen und konnte so auch nicht die rechten Worte finden, seiner Begeisterung Ausdruck zu geben. Er wusste nur, dass er beim Anblick Annabeiles in dem glänzenden Licht der Kandelaber beinahe weiche Knie bekam.
Den Moment, als er ihr zum ersten Mal vor dem Panoramatheater begegnet war, hatte Simon nie vergessen. Mit leicht gerunzelter Stirn hatte sie in ihrem Geldbeutel gekramt. In ihrem hellbraunen Haar glänzten goldene Strähnen, ihr Gesicht
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