Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
langen Tische getragen, die im Speisesaal aufgestellt waren. Annabelle konnte sich kaum vorstellen, dass die Gäste jeden Abend so speisen würden. Aber der Gentleman zu ihrer Linken – ein Pfarrer – versicherte ihr, dass dieser Prunk an Westcliffs Tafel ganz normal sei. „Die Westcliffs sind bekannt für ihre Bälle und ihre Dinnereinladungen“, erklärte er. „Lord Westcliff ist der versierteste Gastgeber des Hochadels.“
    Annabelle hatte keine Lust, zu widersprechen. Es war lange her, dass man ihr so exquisite Speisen aufgetischt hatte. Die lauwarmen Häppchen, die auf den Londoner Soirees und Gesellschaften angeboten wurden, hielten keinen Vergleich mit diesem Festmenü stand. Und im Haushalt der Peytons hatte man sich in den letzten Monaten auch nicht viel mehr als Suppe, Brot und Schinken erlauben können, gelegentlich hatte das Geld darüber hinaus für kleine Portionen gebackene Seezunge oder einen Hammeleintopf gereicht. Zum ersten Mal war sie froh, nicht neben einem gesprächigen Partner zu sitzen. Die langen Gesprächspausen erlaubten ihr, kräftig zuzugreifen. Und da die Diener den Gästen ständig neue, fabelhafte Genüsse zur Auswahl anboten, schien auch niemand ihren wenig damenhaften Appetit zu bemerken.
    Mit Heißhunger verspeiste sie zunächst eine Käsesuppe mit Champagner, danach delikate Kalbfleischstreifen mit Kräutersoße und zartem Gartenkürbis in Sahnesoße, danach Fisch, gebacken in kleinen Papierkästchen, denen beim Offnen ein herrlicher Duft entströmte, Butterkartöffelchen auf einem Kressebett… und schließlich das Köstlichste von allem, Obstkompott in ausgehöhlten Orangen.
    Annabelle war so mit dem Mahl beschäftigt, dass sie erst nach einigen Minuten Simon Hunt bemerkte, der am Kopf des Tisches saß, in der Nähe von Lord Westcliff. Sie beobachtete Hunt ganz diskret über den Rand ihres Weinglases hinweg. Wie gewöhnlich war er vorzüglich gekleidet. Er trug einen schwarzen Abendanzug mit einer zinngrauen, dezent schimmernden Seidenweste. Sein gebräuntes Gesicht stach scharf ab von dem gestärkten weißen Leinenhemd, der Knoten seiner Krawatte saß korrekt. Das dichte braune Haar brauchte vielleicht ein wenig mehr Pomade – eine dicke Locke war ihm bereits in die Stirn gefallen. Irgendwie hatte Annabelle das eigenartige Bedürfnis, ihm die Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
    Es blieb ihr nicht verborgen, dass die Damen, die an Simon Hunts Seite saßen, um seine Aufmerksamkeit buhlten.
    Schon bei anderen Gelegenheiten war ihr aufgefallen, dass die Frauen an Hunt anscheinend recht interessiert waren.
    Und sie wusste auch weshalb. Es war diese Kombination aus sündigem Charme, kühler Intelligenz und großer Weltgewandtheit. Hunt sah aus wie jemand, der schon in vielen Betten gelegen hatte und genau wusste, wie er die Frauen zu behandeln hatte. Diese Eigenschaft sollte eigentlich gegen und nicht für ihn sprechen. Aber Annabelle erkannte allmählich, dass ein großer Unterschied bestand zwischen dem, was gut für sie war, und dem, was sie wirklich begehrte. Und obwohl sie es allzu gerne geleugnet hätte, war Simon Hunt doch der einzige Mann, der sie bislang körperlich angezogen hatte.
    Obwohl sie ziemlich behütet aufgewachsen war, waren ihr dennoch die Fakten des Lebens nicht ganz fremd.
    Allerdings beruhte ihr Halbwissen auf Hörensagen und dem, was sie sich zusammenreimte. Sie war einige Male geküsst worden, von verschiedenen Männern, die während der vergangenen drei Saisons kurzfristig Interesse an ihr gezeigt hatten. Aber keiner dieser Küsse, so romantisch die Umgebung oder so attraktiv der junge Mann auch gewesen war, keiner dieser Küsse hatte bei ihr ein derartiges Gefühl ausgelöst wie der Kuss von Simon Hunt.
    Annabelle hatte es versucht, aber sie hatte dennoch niemals diesen lange zurückliegenden Augenblick im Panoramatheater vergessen – den zärtlich leidenschaftlichen Druck seiner Lippen auf den ihren, die berauschende Glückseligkeit, die sie bei seinem Kuss verspürt hatte. Gerne hätte sie gewusst, weshalb Hunts Kuss so anders war, aber es gab niemanden, den sie hätte fragen können. Mit Philippa, ihrer Mutter, darüber zu reden, stand außer Frage, da Annabelle nicht zugeben wollte, dass sie von einem Fremden Geld für die Eintrittskarte angenommen hatte. Und mit den anderen Mauerblümchen konnte und wollte sie die Angelegenheit auch nicht erörtern, da die bestimmt auch nicht mehr Erfahrung im Küssen und mit Männern besaßen als sie

Weitere Kostenlose Bücher