Geheimnisse einer Sommernacht
selbst.
Als sich Simons und ihre Blicke plötzlich trafen, stellte Annabelle beunruhigt fest, dass sie Hunt schon lange angestarrt hatte. Obwohl sie weit auseinandersaßen, bemerkte sie die spannungsgeladene Atmosphäre …
Aufmerksam blickte er sie an, und sie fragte sich, was ihn so faszinierte. Mit tiefrotem Gesicht wandte sie sich ab und stocherte mit der Gabel in ihrem Essen herum.
Nach dem Essen nahmen die Damen ihren Kaffee oder Tee im Salon, während die Herren an den Tischen sitzen blieben und ein Glas Port tranken. Es war üblich, dass anschließend beide Gruppen wieder im großen Salon zusammentrafen. Im Moment aber saßen die Frauen noch in kleinen Grüppchen beisammen, unterhielten sich und lachten. Auch Annabelle und die übrigen drei Mauerblümchen hatten wieder zueinandergefunden. „Ist jemandem etwas über Lord Kendali zu Ohren gekommen?“, erkundigte sich Annabelle, da sie hoffte, eins der Mädchen hätte während des Essens irgendeinen Klatsch mitbekommen. „Gibt es eine, für die er sich besonders interessiert?“
„Bislang ist das Feld unbestellt“, antwortete Lillian.
„Ich habe Mutter gefragt, was sie über Kendall weiß“, sagte Daisy. „Er soll ein beachtliches Vermögen und keinerlei Schulden haben.“
„Und woher weiß sie das?“, fragte Annabelle.
„Auf Mutters Wunsch hat unser Vater einen schriftlichen Bericht über jeden geeigneten Adligen in England verfasst“, erklärte Daisy. „Und die hat sie alle im Kopf. Ihrer Meinung nach wäre für uns beide der ideale Bewerber ein verarmter Herzog, dessen Titel den Bowmans sozialen Aufstieg und unser Geld seine Bereitschaft zur Heirat garantieren würde.“ Daisy grinste frech, während sie die Hand der älteren Schwester tätschelte. „Zu Hause in New York gab es einen Spruch über Lillian: Heirate Lillian, und du bist ein reicher Mann. Weil der Spruch nachher so populär war, mussten wir nach London reisen. Unsere Familie stand da wie ein Haufen dusseliger, angeberischer Idioten.“
„Sind wir das denn nicht?“, fragte Lillian trocken.
Daisy schielte lustig. „Ich bin jedenfalls glücklich, dass wir abgereist sind, bevor es einen Spruch über mich gab.“
„Ich weiß aber einen“, erklärte Lillian. „Heirate Daisy und sei so faul wie sie.“
Daisy funkelte sie wütend an, und die Schwester grinste frech zurück. „Aber keine Angst“, fuhr sie dann fort.
„Eines Tages wird es uns gelingen, die feine Londoner Gesellschaft zu knacken, dann heiraten wir Lord Schuldenschwer und Lord Leeretasche und werden schließlich doch noch Herrin eines großen Landsitzes.“
Annabelle schüttelte belustigt den Kopf, während Evie sich leise entschuldigte, wahrscheinlich um ein stilles Örtchen aufzusuchen. Irgendwie empfand Annabelle für die Bowman-Schwestern fast Mitleid, denn es wurde immer offensichtlicher, dass die beiden genauso wenig auf eine Liebesheirat hoffen konnten wie sie selbst.
„Wollen eure Eltern denn beide, dass ihr jemanden mit einem Titel heiratet? Was ist denn die Ansicht eures Vaters?“, wollte Annabelle wissen.
Lillian zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Solange ich mich erinnern kann, hat unser Vater nie viel Interesse an seinen Kindern gezeigt. Er wollte stets ungestört sein, um noch mehr Geld verdienen zu können. Auf unsere Briefe antwortet er nur, wenn wir darum bitten, Geld bei der Bank abheben zu dürfen. Und das auch nur mit einer Zeile: ‚Erlaubnis erteilt.‘“
Daisy schien den heiteren Zynismus ihrer Schwester zu teilen. „Ich glaube, Vater freut sich sogar über Mutters Kuppelei. Das hält sie davon ab, ihn zu stören.“
„Oh Gott“, murmelte Annabelle. „Und er beschwert sich niemals über eure Bitten um mehr Geld?“
„Wieso denn!“ Lillian lachte über das offenkundige Unverständnis. „Wir sind unermesslich reich, Annabelle. Wir haben sogar noch drei ältere Brüder, ebenfalls unverheiratet. Möchtest du einen? Wenn du willst, lass ich einen zur Inspektion über den Atlantik kommen.“
„Klingt verführerisch – aber nein! In New York möchte ich nicht leben. Ich möchte lieber die Frau eines englischen Adligen sein.“
„Ist das Leben an der Seite eines englischen Peers wirklich so wunderbar?“, fragte Daisy nachdenklich. „In einem dieser zugigen, alten Häuser … ohne Wasserleitungen … und mit all den Regeln, was man wann, wie und wo zu tun hat …“
„Du bist ein Niemand, wenn du nicht mit einem Adligen verheiratet bist“, versicherte
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