Geheimnisse einer Sommernacht
die Störung, Sir. Ich wollte nur ein wenig frische Luft schöpfen.“ Sie holte tief Luft, bis ihr Busen beinahe die Nähte ihres Oberteils sprengte. „Im Haus war es doch sehr drückend, nicht wahr?“
Kendall kam näher und wollte ihr die Hand reichen, als befürchte er, sie würde in Ohnmacht fallen. „Darf ich Ihnen etwas bringen? Vielleicht ein Glas Wasser?“
„Nein, danke. Eine Weile hier draußen wird mir schon helfen.“ Anmutig ließ sich Annabelle auf den nächsten Stuhl sinken. „Obwohl …“ Sie verstummte und versuchte, ihn verlegen anzusehen. „Es wäre sicherlich nicht gut, wenn man uns hier ohne Begleitung sehen würde. Insbesondere da wir einander nicht einmal vorgestellt worden sind.“
Er verbeugte sich leicht. „Lord Kendall, Madam.“
„Miss Annabelle Peyton.“ Sie blickte auf den leeren Stuhl neben sich. „Bitte setzen Sie sich doch, Sir. Ich verspreche, sobald mein Kopf wieder klar ist, werde ich sofort verschwinden.“
Kendall gehorchte zögernd. „Nicht nötig. Bleiben Sie ruhig, so lange Sie wollen.“
Das war ermutigend. Doch Lillians Rat befolgend wollte Annabelle ihre nächste Bemerkung wohlüberlegt machen.
Sie musste sich anders verhalten als die Schar der jungen Mädchen, die Kendall ständig bedrängten. Sie musste ihn glauben machen, dass sie die Einzige sei, die nicht an ihm interessiert war. „Ich vermute, ich weiß, weshalb Sie hier draußen sitzen“, begann sie lächelnd. „Sicher versuchen Sie, allzu eifrigen Verehrerinnen aus dem Weg zu gehen.“
Kendall sah sie überrascht an. „Ja, das stimmt tatsächlich. Ich muss zugeben, ich war noch nie auf einer Gesellschaft mit so überaus freundlichen Gästen.“
„Warten Sie erst mal das Monatsende ab“, riet sie ihm. „Dann werden die Gäste so freundlich sein, dass Sie eine Peitsche brauchen, um sich ihrer zu erwehren.“
„Sie wollen wohl andeuten, dass ich so etwas wie eine Zielscheibe für heiratswillige Damen bin?“, meinte er trocken und traf damit des Pudels Kern.
„Nur mit weißen Kreisen auf der Rückseite Ihrer Jacke könnten Sie noch mehr auf sich aufmerksam machen“, sagte Annabelle, und er lachte leise. „Darf ich fragen, Mylord, ob es noch andere Gründe gibt, weshalb Sie auf die Terrasse flüchteten?“
Kendall lächelte und machte einen viel gelösteren Eindruck als am Anfang. „Ich mag leider keinen Alkohol.
Portwein trinke ich nur um der Geselligkeit willen.“
Annabelle war noch nie einem Mann begegnet, der freiwillig so etwas zugegeben hatte. Die meisten Männer setzten Männlichkeit mit der Fähigkeit gleich, so viel Alkohol zu konsumieren, die ausreichte, um einen Elefanten betrunken zu machen. „Werden Sie krank davon?“, fragte sie mitfühlend.
„Hundeelend wird mir. Man hat mir geraten, dass durch Übung die Toleranzschwelle steigt …, aber das ist ziemlich töricht. Ich weiß meine Zeit anderweitig besser zu verbringen.“
„Und? Womit?“
Kendall dachte eine ganze Weile über die Frage nach. „Eine Wanderung durch die Felder …, ein Buch, aus dem ich etwas lernen kann.“ In seinen Augen blitzte es plötzlich fröhlich: „… eine Unterhaltung mit einem neuen Freund.“
„Das mag ich auch alles.“
„Ja?“ Kendall zögerte weiterzusprechen, und eine Zeit lang war nur das Rauschen des Baches und der Bäume zu hören. „Vielleicht haben Sie ja morgen früh Lust, mich auf einen Spaziergang zu begleiten. Ich kenne ein paar wunderbare Routen um Stony Cross.“
Annabelle versuchte, ihre Freude nicht zu offen zu zeigen. „Gerne. Aber darf ich fragen … Was ist mit Ihrem Gefolge?“
Kendall lächelte breit und zeigte dabei eine Reihe kleiner wohlgeformter Zähne. „Ich erwarte nicht, dass uns jemand stört, wenn wir früh genug aufbrechen.“
„Zum Glück bin ich eine Frühaufsteherin …, und ich wandere gerne“, log sie.
„Um sechs Uhr dann?“
„Sechs Uhr“, wiederholte sie und stand auf. „Ich muss wieder reingehen, bevor man meine Abwesenheit bemerkt.
Doch ich fühle mich jetzt viel besser. Danke für die Einladung, Mylord“ Sie schenkte ihm ein kleines kokettes Lächeln. „Und für das Asyl auf der Terrasse.“
Während sie wieder hineinging, schloss sie kurz die Augen und seufzte erleichtert. Es war ein guter Beginn gewesen und viel leichter, als sie sich vorgestellt hatte. Mit ein bisschen Glück – und ein wenig Hilfe ihrer Freundinnen – gelang es ihr vielleicht doch noch, einen Peer zu angeln. Und dann würde alle Not
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