Geheimnisse einer Sommernacht
ignorierte sie Hunts Arm und stieg ohne seine Hilfe darüber. Hunt sah sie von der Seite an und lächelte zaghaft über ihre verschlossene Miene.
„Eigentlich hätte ich erwartet, dass Sie nun bereits an die Spitze des Trosses vorgedrungen wären“, sagte er.
Sie knurrte verärgert. „Ich vergeude meine Kräfte doch nicht an eine Schar Kleingeister. Ich warte auf einen günstigeren Moment, um Kendall wieder auf mich aufmerksam zu machen.“
„Aber er hat sie doch längst bemerkt. Wenn nicht, müsste er ja blind sein. Ich frage mich allerdings, weshalb Sie glauben, Sie bekämen ihn dieses Mal dazu, um Ihre Hand anzuhalten. Nachdem es Ihnen in den zwei Jahren, seit ich Sie kenne, nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Verehrer zu einem Kratzfuß zu bewegen.“
„Weil ich einen Plan habe“, erwiderte sie barsch.
„Was für einen denn?“
Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Als ob ich Ihnen das verraten würde.“
„Hoffentlich ist es ein arglistiger, hinterhältiger Plan“, sagte er ernst. „Mit der damenhaft vornehmen Taktik scheinen Sie ja nicht sehr erfolgreich zu sein.“
„Nur weil ich keine Mitgift habe“, konterte Annabelle wütend. „Wenn ich Geld hätte, wäre ich schon längst verheiratet.“
„Ich habe Geld. Wie viel brauchen Sie?“
Annabelle warf ihm einen zynischen Blick zu. „Ich weiß genau, was Sie als Gegenwert erwarten, Mr. Hunt. Seien sie sicher, dass ich keinen Schilling von Ihnen annehme.“
„Schön zu wissen, wie kritisch Sie die Leute auswählen, mit denen Sie Umgang pflegen“, sagte Hunt und bog einen Zweig für sie zur Seite. „Da bin ich aber froh, dass die Gerüchte nicht stimmen.“
„Gerüchte?“ Abrupt blieb Annabelle stehen, wirbelte herum und sah ihn streng an. „Über mich? Was könnte man über mich wohl erzählen?“
Hunt schwieg, beobachtete nur ihr beunruhigtes Mienenspiel und überließ es ihr, Schlussfolgerungen zu ziehen.
„Kritisch …“, murmelte sie. „Leute, mit denen ich Umgang habe? Wollen Sie damit andeuten, dass ich unpassenden …“ Ihr fehlten die Worte, als sie plötzlich das hässliche, fette Gesicht von Hodgeham vor Augen hatte.
Hunt musste bemerkt haben, dass sie blass geworden war und die Stirn gerunzelt hatte. Sie blickte ihn kalt an, wandte sich ab und ging festen Schrittes weiter.
Hunt hielt mit ihr Schritt. Kendalls Stimme scholl durch den Wald. Sie hörten, wie er seinen begeisterten Zuhörerinnen die Pflanzen erklärte, die am Weg standen. Seltene Orchideen, Schöllkraut, verschiedene Pilzarten.
Zwischendurch brach sein verzücktes Publikum immer wieder in bewundernde Freudenschreie aus. „Und diese niedrigen Pflanzen“, sagte Kendall, der kurz stehen geblieben war und auf einen Schleier von Moos und Flechten zeigte, der eine tote Eiche überzog, „gehören zur Klasse der Bryophyten und benötigen ein feuchtes Klima zum Gedeihen. Nur hier im Wald, im Schutz des Blätterdaches, wachsen sie, draußen auf dem offenen Feld gehen sie ein …“
„Ich habe nichts Falsches getan“, erklärte Annabelle nach einiger Zeit und wunderte sich zugleich, weshalb ihr Hunts Meinung so wichtig war. Sie fragte sich, von wem er das Gerücht gehört hatte und vor allem, worum es dabei ging. War es möglich, dass jemand mitbekommen hatte, wie Hodgeham ihr Haus zu nachtschlafender Zeit betreten hatte? Das wäre schlimm. Gegen ein solches rufschädigendes Gerücht gab es keine Verteidigungsmöglichkeit. „Und ich habe auch nichts zu bedauern.“
„Schade“, erwiderte Hunt leichthin. „Hat man etwas zu bedauern, so hat man bestimmt auch etwas Interessantes erlebt.“
„Haben Sie denn etwas zu bedauern?“
„Nein, ich habe auch nichts zu bedauern.“ Die dunklen Augen blitzten gefährlich. „Natürlich nicht aus Mangel an Gelegenheiten. Ständig mache ich unglaubliche Dinge in der Hoffnung, dass es mir hinterher leid tut. Aber bislang … nichts, was ich zu bedauern hätte.“
Obwohl ihr eigentlich gar nicht danach war, musste Annabelle kichern.
„Darf ich?“, kam ihr Hunt zuvor, als sie einen dicken Ast beiseiteschieben wollte. Galant machte er ihr den Weg frei.
„Danke.“ Sie vermied es, ihn anzusehen, während sie an ihm vorbeiging, und blickte interessiert zu Kendall und den anderen in einiger Entfernung vor ihr. Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz unter der Fußsohle.
„Autsch!“ Sie blieb stehen und zog ein wenig den Rocksaum hoch, um zu sehen, was ihr da wehtat.
Hunt war in
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