Geheimnisse einer Sommernacht
laut!“
Begehrlich und fasziniert beobachtete Hunt sie. „Machen Sie mir ein gutes Angebot, Miss Peyton.“
Den Blick fest auf einen imaginären Punkt hinter ihm an der Wand geheftet, begann Annabelle mit erstickter Stimme: „Wenn Sie versprechen, Stillschweigen über das Schlagballmatch zu bewahren, dann … dürfen Sie mich küssen.“
Die rätselhafte Stille, die auf ihre Erklärung folgte, war qualvoll. Vorsichtig sah Annabelle ihn an. Sie hatte Hunt überrascht. Er starrte sie an, als traue er seinen Ohren nicht.
„Ein Kuss“, sagte Annabelle. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. „Und glauben Sie ja nicht, sich mehr herausnehmen zu können.“
Hunt wählte seine Worte sehr bedacht. „Ich hatte erwartet, Sie böten mir an, mit Ihnen zu tanzen – einen Walzer oder eine Quadrille“, antwortete er ungewöhnlich zurückhaltend.
„Daran hatte ich zuerst auch gedacht. Aber ein Kuss erschien mir zweckdienlicher und wesentlich schneller als ein Walzer.“
„Nicht, wenn ich küsse.“
Die leise Bemerkung ließ ihre Knie weich werden. „Reden Sie doch keinen Unsinn“, erwiderte sie barsch. „Ein richtiger Walzer dauert mindestens drei Minuten. So lange können Sie niemanden küssen.“
„Das wissen Sie doch nur zu gut.“ Unmerklich wurde seine Stimme mit jedem Wort belegter. „Gut. Ich akzeptiere Ihr Angebot. Ein Kuss für mein Stillschweigen. Aber ich bestimme Zeit und Ort.“
„Zeit und Ort werden im gemeinsamen Einverständnis bestimmt“, erwiderte Annabelle. „Schließlich muss bei allem mein guter Ruf gewahrt bleiben. Ich werde ihn doch nicht dadurch in Gefahr bringen, dass ich Sie einen unpassenden Ort und Zeitpunkt wählen lasse.“
Hunt lächelte spöttisch. „Eine exzellente Verhandlungsführerin sind Sie, Miss Peyton. Gott möge uns helfen, sollten Sie einmal den Ehrgeiz besitzen, in der Geschäftswelt mitzuspielen.“
„Mein Ehrgeiz besteht nur darin, Lady Kendall zu werden“, erwiderte sie süffisant und freute sich, dass sein Lächeln augenblicklich erstarb.
„Das täte mit leid. Für sie wie auch für Kendall.“
„Ach, scheren Sie sich zum Teufel, Mr. Hunt“, schimpfte sie leise und ließ ihn stehen.
Während sie zur rückwärtigen Terrasse ging, versuchte sie, das heftige Pochen in ihrem Fußgelenk zu ignorieren.
Aber dann fuhr plötzlich ein stechender Schmerz bis zum Knie hinauf. „Ach, verdammt“, fluchte sie. In diesem Zustand hatte sie bestimmt nicht viel Erfolg bei Kendall. Es war schwierig, verführerisch zu wirken, wenn man am liebsten vor Schmerz laut geschrien hätte. Sie fühlte sich plötzlich so erschöpft, dass sie beschloss, in ihr Zimmer zurückzugehen. Die Übereinkunft mit Simon Hunt war geschlossen, und nun war es wohl das Beste, den Fuß hochzulegen und darauf zu hoffen, dass die Schwellung morgen früh abgeklungen war.
Mit jedem Schritt wurde der Schmerz schärfer. Kalter Schweiß rann ihr über die Stirn, das Korsett wurde immer enger. Nie zuvor hatte sie eine solche Verletzung gehabt. Jetzt tat ihr nicht nur das Bein weh, ihr ganzer Körper schmerzte, und ihr war schwindelig. Plötzlich begann auch ihr Magen zu revoltieren. Sie brauchte Luft, wollte nur irgendwo draußen im Dunkeln sitzen und abwarten, bis die Übelkeit vorbei war. Aber die Terrassentür schien ihr so schrecklich weit entfernt, und sie wusste nicht, wie sie es bis dahin schaffen sollte.
Glücklicherweise waren ihr die Bowman-Schwestern gefolgt, als sie sahen, dass Annabelle das Gespräch mit Simon Hunt beendet hatte. Lillians erwartungsvolles Lächeln verschwand, als sie Annabelles schmerzverzogenes Gesicht sah. „Mein Gott, du siehst ja furchtbar aus! Was hat Hunt denn gesagt?“
„Er hat zugestimmt“, sagte Annabelle kurz angebunden, während sie weiter in Richtung Terrasse humpelte. Das Dröhnen in ihren Ohren wurde immer stärker, es war so laut, dass es sogar die Orchestermusik übertönte.
„Wenn der Gedanke daran dich so sehr erschreckt, dann …“, begann Lillian.
„Das ist es nicht“, brachte Annabelle mit äußerster Anstrengung heraus. „Mein Fußgelenk. Ich bin heute Nachmittag umgeknickt, und jetzt kann ich kaum laufen.“
„Und warum hast du das nicht schon vorher gesagt?“, erkundigte sich Lillian besorgt, während sie ihren Arm stützend um Annabelles Taille legte. „Daisy, halt die Tür auf, damit wir nach draußen können.“
Die Schwestern geleiteten Annabelle auf die Terrasse. Annabelle fuhr sich mit der behandschuhten Hand
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