Geheimnisse einer Sommernacht
freundliches, mit einer blauen Blumentapete tapeziertes Zimmer. Die Bilder von fröhlichen Kindern und Tieren an den Wänden bestätigten die Aussage der Haushälterin, dass der Raum normalerweise von den Marsdens nur privat genutzt wurde und Lord Westcliff ihn ausnahmsweise für Annabelle zugänglich gemacht hatte.
Philippa legte ihrer Tochter, der sie es auf dem Sofa unter dem Fenster bequem gemacht hatte, eine Decke über die Knie. Annabelle zog eine Grimasse, als sie sah, dass die Mutter eine Tasse Labkrauttee auf den Beistelltisch stellte.
„Du musst den Tee trinken“, sagte Philippa streng. „Umso schneller wirst du wieder gesund.“
„Mach ruhig einen Spaziergang, Mama. Oder unterhalte dich mit deinen Bekannten. Du musst mir wirklich keine Gesellschaft leisten.“
„Bist du sicher, Kind?“
„Absolut.“ Annabelle trank einen kleinen Schluck von dem Tee. „Siehst du, ich trinke meine Medizin und ruhe mich aus. Nun geh schon, Mama. Mach dir um mich keine Sorgen.“
„Na ja, wenn du meinst. Aber ich bleibe nicht lange“, gab Philippa zögerlich nach. „Die Haushälterin sagte, du solltest die Tischglocke läuten, wenn du einen Diener rufen willst. Und vergiss nicht, den Tee auszutrinken.“
„Bestimmt nicht“, versicherte Annabelle und schaute Philippa lächelnd nach, bis sie den Salon verlassen hatte.
Sobald Annabelle davon überzeugt war, dass ihre Mutter so schnell nicht zurückkommen würde, goss sie den Inhalt ihrer Tasse ganz langsam aus dem geöffneten Fenster.
Zufrieden machte sie es sich anschließend auf dem Sofa bequem. Ab und zu unterbrach ein Geräusch im Haus die friedliche Stille: Mal klapperte irgendwo Geschirr, dann hörte sie die Stimme der Haushälterin, dann das Kratzen eines Besens, als der Teppich im Hausflur gesäubert wurde. Annabelle legte den Arm auf die Fensterbank und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Summen der Bienen, die fleißig zwischen den tiefrosa Blüten der Hortensienbüsche und den zarten Ranken der Wicken im Beet nahe am Haus hin und her flogen. Sie fühlte sich immer noch schwach und hinfällig, und so genoss sie Wärme und Ruhe wie eine Katze, die schläfrig in der Sonne lag.
Nur langsam reagierte Annabelle, als sie ein leises Klopfen an der Türe hörte. Sie zögerte, als sollte der Besucher ihre Träume nicht stören. Mit angezogenen Beinen blieb sie auf dem Diwan sitzen und blinzelte gegen das Sonnenlicht in den Raum. Erst als das Glitzern vor ihren Augen allmählich schwand, bemerkte sie, dass Simon Hunt im Türrahmen stand. Lässig lehnte er gegen den Türpfosten. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, betrachtete er sie mit einem unergründlichen Blick.
Annabelles Pulsschlag beschleunigte sich. Hunts Außeres war wie stets makellos. Er besaß eine ungeheure männliche Ausstrahlung. Sie erinnerte sich, wie er sie nach oben getragen hatte, erinnerte sich an die starken Arme, an die Hände, die sie gehalten hatten, immer würde sie sich daran erinnern, wenn sie ihm begegnete.
„Wie ein Schmetterling, der gerade ins Zimmer geflogen ist, sehen Sie aus“, sagte er leise.
Er macht sich lustig über mich, dachte Annabelle, da ihr sehr wohl bewusst war, wie krank und hinfällig sie aussehen musste. Trotzig strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. „Was machen Sie hier? Sollten Sie nicht auf der Party des Nachbargutes sein?“
So schroff und unhöflich wollte sie gar nicht sein, aber irgendwie hatte sie ihre Schlagfertigkeit eingebüßt. Sie musste nämlich plötzlich daran denken, wie er ihr die Brust massiert hatte. Vor Scham wurde sie über und über rot.
„Ich habe eine geschäftliche Verabredung mit einem meiner Direktoren“, erwiderte Hunt ruhig. „Er kommt heute Morgen aus London. Im Gegensatz zu den feinen Herren mit Stammbaum, für die Sie ja so schwärmen, habe ich heute anderes zu tun, als mich darum zu kümmern, wo ich die Decke für mein Picknick ausbreiten soll.“ Er trat langsam weiter ins Zimmer. „Immer noch schwach?“, fragte er mit einem prüfenden Blick. „Ach, das wird sich bald geben. Was macht Ihr Fußgelenk? Ich möchte es mir noch einmal ansehen. Lüften Sie den Rocksaum!“
Einen Moment lang sah Annabelle ihn erschrocken an, doch dann, als sie das Glitzern in seinen Augen bemerkte, musste sie lachen. Seine dreiste Bitte half ihr über ihre Verlegenheit hinweg. „Nicht nötig“, antwortete sie locker.
„Danke der Nachfrage, meinem Fuß geht es viel
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