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Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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sich immer nur um ein Feld fortbewegen. Aber er ist die wichtigste Figur im Spiel.“
    „Weshalb ist er wichtiger, aber nicht stärker als die Dame?“
    „Ist der König erobert, so ist das Spiel aus.“ Er nahm ihr die Dame aus der Hand und tauschte sie gegen einen Bauern aus. Wieder strichen seine Finger kurz über die ihren, aber diesmal deutlich zärtlicher. Annabelle wusste zwar, dass sie ihm solche Vertraulichkeiten eigentlich verbieten sollte, aber sie schaute nur wie benommen auf ihre Handknöchel, die sich langsam weiß färbten, weil sie die Elfenbeinfigur viel zu fest hielt. „Das ist der Bauer“, hörte sie Hunts samtweiche, leise Stimme. „Er kann nur jeweils um ein Feld vorwärtsziehen, und er ist der einzige Stein, der anders zieht als schlägt. Er schlägt nämlich immer um ein Feld schräg vorwärts. Unerfahrene Spieler bewegen gern ihre Bauern zu Beginn des Spiels, um dadurch das Spielfeld schnell zu beherrschen. Aber die anderen Steine einzusetzen, erweist sich meist als die bessere Strategie …“
    Während Hunt weiter die Spielregeln erklärte, drückte er Annabelle jeweils die passende Figur in die Hand und beschrieb ihren Einsatz. Bei jeder Berührung fühlte Annabelle ein Brennen auf der Haut. Freudig, ja fasziniert erwartete sie jeden weiteren Körperkontakt. Ihre übliche Zurückhaltung schien dahinzuschmelzen. Irgendetwas war mit ihr geschehen … oder mit Hunt, vielleicht auch mit ihnen beiden …, etwas, das ihnen erlaubte, so unbefangen wie nie zuvor miteinander umzugehen. Sie genoss seine Nähe, obwohl sie ihm noch größere Vertraulichkeiten nicht gestatten wollte, denn das konnte möglicherweise böse enden.
    Schließlich ließ sie sich zu einem Spiel überreden. Geduldig wartete Hunt, während sie die verschiedenen Möglichkeiten eines Zuges abwog, und gab ihr auch bereitwillig Rat, wenn sie darum bat. Er war so charmant-fröhlich, dass es Annabelle sogar egal war, wer am Ende gewinnen würde. Na ja, fast egal. Denn als sie einen Stein in eine Position schob, in der nicht nur eine, sondern gleichzeitig zwei seiner Figuren bedroht waren, nickte Hunt ihr anerkennend zu. „Diese Spielsituation nennt man eine Gabel. Ich glaube, Sie haben eine natürliche Begabung für das Schachspiel.“
    „Ihnen bleibt keine Wahl. Sie müssen aufgeben“, triumphierte Annabelle.
    „Noch nicht ganz.“ Er setzte einen anderen Stein auf dem Brett und bedrohte damit ihre Dame.
    Erstaunt stellte Annabelle fest, dass er sie mit einem einzigen Zug zum Rückzug zwang. „Das ist nicht fair“, protestierte sie, und Hunt lachte vergnügt.
    Das Kinn auf die verschränkten Hände gestützt, betrachtete Annabelle das Schachbrett. Minutenlang überlegte sie verschiedene Spielzüge, aber keiner schien ihr zum gewünschten Ziel zu führen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gab sie schließlich zu und sah zu ihm auf. Seltsam starrte Hunt sie an, liebevoll und so besorgt. Der Blick verwirrte sie völlig.
    „Sie sind erschöpft, das ist meine Schuld“, sagte er leise.
    „Nein, mir geht es gut.“
    „Wir setzen das Spiel später fort. Wenn Sie ausgeruht sind, fällt Ihnen der nächste Zug bestimmt leichter.“
    „Ich will aber noch nicht aufhören“, weigerte Annabelle sich.
    „Außerdem wissen wir ja später gar nicht mehr, wo die einzelnen Steine gestanden haben.“
    „Doch, ich weiß es.“ Obwohl Annabelle heftig protestierte, stand Hunt auf und schob den Schachtisch aus ihrer Reichweite. „Ein kleiner Erholungsschlaf wird Ihnen guttun. Brauchen Sie Hilfe, um nach oben zu kommen, oder …“
    „Mr. Hunt, ich gehe nicht zurück auf mein Zimmer. Ich hasse es. Lieber schlafe ich auf dem Flur als …“
    „Ist ja schon gut“, beruhigte Hunt sie und setzte sich wieder neben sie. „Es liegt mir fern, Sie zu etwas drängen zu wollen.“ Er faltete die Hände, lehnte sich betont lässig zurück und betrachtete Annabelle. „Morgen werden alle Gäste zurück im Herrenhaus sein“, begann er. „Vermutlich wollen Sie bald die Jagd auf Kendall wieder aufnehmen, nicht wahr?“
    „Vielleicht“, gab Annabelle zu und hielt sich die Hand vor den Mund, um ein plötzliches Gähnen zu unterdrücken.
    „Sie wollen ihn nicht“, sagte Hunt leise.
    „Oh doch!“ Müde legte sie den Kopf auf den Arm. „Und obwohl Sie sehr nett zu mir waren, Mr. Hunt, so leid es mir tut, wird das auch nichts an meinen Plänen ändern.“
    Er beobachtete sie genauso ruhig und grüblerisch, wie er zuvor auf das

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