Geheimnisse einer Sommernacht
stellte das Kästchen auf den Tisch, öffnete es und holte kunstvoll geschnitzte Schachfiguren aus Onyx und Elfenbein heraus. „Wahr ist, dass man einen Menschen erst richtig kennt, wenn man ihm Geld geliehen hat.“ Er blickte sie herausfordernd an. „Und eine Frau kennt man erst richtig, wenn man in ihrem Bett gelegen hat.“
Natürlich wollte er sie schockieren. Und das war ihm auch gelungen, obwohl Annabelle versuchte, es ihm nicht zu zeigen. Stirnrunzelnd erwiderte sie sein herausforderndes Lächeln. „Mr. Hunt, wenn Sie weiterhin so vulgäre Bemerkungen machen, müsste ich Sie bitten, den Salon zu verlassen.“
„Ich bitte um Vergebung.“ Seine sofortige Reue beeindruckte sie keineswegs. „Ich kann einfach nicht widerstehen, Sie zum Erröten zu bringen. Ich kenne keine Frau, die so oft errötet wie Sie.“
Die Röte kroch ihr vom Hals über das ganze Gesicht bis zum Haaransatz. „Ich werde nie rot. Nur in Ihrer Gegenwart, da …“ Sie wusste nicht weiter und starrte ihn so empört an, dass er lachen musste.
„Ich werde mich jetzt benehmen“, versprach er.
Unschlüssig sah sie ihn an und strich sich mit zittriger Hand über die Stirn. Gerührt durch ihre offenkundige Schwäche sagte er leise: „Schicken Sie mich bitte nicht fort, Annabelle.“
Sie nickte schwach und ließ sich in die Sofakissen zurückfallen. Hunt begann die Schachfiguren aufzustellen. Es überraschte sie, wie vorsichtig und gekonnt er mit seinen großen Händen die Figuren berührte. Möglicherweise sogar unbarmherzige Hände, dachte sie, braun gebrannte, männliche Hände, mit einem leichten Flaum schwarzer Haare auf den Handrücken.
Hunt stand immer noch neben ihr. Ein verführerischer männlicher Duft umgab ihn und noch etwas …, etwas, was Annabelle an den Geruch von Pfirsichen oder Ananas erinnerte. Als sie zu ihm aufschaute, war er ihr so nahe, dass er sie mit Leichtigkeit hätte küssen können. Zitternd und mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie zu ihm auf.
Insgeheim aber wünschte sie, seine Lippen auf den ihren und den flüchtigen Hauch seines Atems zu spüren. Sie wünschte, dass er sie noch einmal in den Armen halten würde.
Hunt bemerkte ihr plötzliches Schweigen und richtete seine Aufmerksamkeit vom Schachbrett auf ihr Gesicht. Der Atem stockte ihm. Still blickten sie sich an. Annabelle krallte die Hände ins Polster, was würde Hunt jetzt tun?
Die Spannung löste sich, als er einmal tief durchatmete. „Nein …, dafür geht es Ihnen noch nicht gut genug“, sagte er leise mit rauer Stimme.
Ihr Herz schlug so laut, dass sie ihn kaum verstand. „Was?“, flüsterte sie.
Hunt strich ihr sanft eine Locke aus der Stirn. Seine Fingerspitzen glühten auf ihrer Haut. „Ich weiß, woran Sie denken. Und glauben Sie mir, ich kann der Versuchung kaum widerstehen. Aber noch sind Sie zu schwach, und ich kann heute meiner Selbstbeherrschung nicht allzu sehr trauen.“
„Wenn Sie andeuten wollen, dass ich …“
„Ich verschwende meine Zeit nicht mit langen Erklärungen“, murmelte er und fuhr fort, die Schachfiguren sorgfältig auf ihre Plätze zu stellen. „Offensichtlich möchten Sie von mir geküsst werden. Gern werde ich Ihnen den Wunsch erfüllen …, wenn es an der Zeit ist. Jetzt aber nicht.“
„Mr. Hunt, Sie sind …“
„Ich weiß“, unterbrach er sie lächelnd. „Sie können sich die Mühe sparen, mir irgendwelche Bezeichnungen an den Kopf zu werfen. Die habe ich alle schon oft genug gehört.“ Er setzte sich in den Sessel und drückte ihr eine Schachfigur in die Hand. Der Onyx war schwer und kühl. Zwischen Annabelles Fingern erwärmte sich seine glatte Oberfläche langsam.
„Bezeichnungen wollte ich Ihnen eigentlich nicht an den Kopf werfen“, sagte Annabelle. „Eher ein oder zwei harte Gegenstände.“
Ein tiefes Lachen kam aus seiner Brust, und bevor er seine Hand zurückzog, strich er sanft mit dem schwieligen Daumen über ihre Finger. Es kitzelte ein wenig und erinnerte Annabelle an das Lecken einer rauen Katzenzunge auf ihrer Haut. Verwirrt von ihrer eigenen Reaktion betrachtete Annabelle die Figur.
„Das ist die Dame“, sagte er und deutete auf den Stein in Annabelles Hand. „Die stärkste Figur im Spiel. Sie darf sich in alle Richtungen und so weit sie will bewegen.“
Was er sagte, war durchaus nicht zweideutig, aber seine dunkle Stimme und wie er sprach trieben Annabelle wohlige Schauer über den Rücken.
„Stärker als der König?“
„Ja. Der König kann
Weitere Kostenlose Bücher