Geheimnisvoll Vertrauter Fremder - Historical Bd 274
klar denken zu können. Aber sie hatte das Gefühl, als wäre ihr Herz entzweigebrochen. Sie wünschte sich beinahe, dass Lorenzo im Kampf gestorben war, denn dann hätte er zumindest einen schnellen Tod gehabt. Der Gedanke, dass er seinem Feind ausgeliefert sein könnte, war ihr unerträglich. Sie wusste, was es ihn gekostet hatte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, welche inneren Konflikte er durchlitten hatte – und jetzt war er wieder ein Gefangener des brutalen Korsaren, der ihn schon einmal beinahe getötet hatte.
„Lorenzo …“, flüsterte sie. „Mein Liebster, mein Liebster – was habe ich dir nur angetan?“
Es war ihre Schuld, denn es wäre Rachid niemals gelungen, Lorenzo unvorbereitet anzutreffen, bevor er sich in sie verliebt hatte. Sie hatte ihm ihre Liebe geschenkt, aber der Kelch war vergiftet gewesen und hatte zu seinem Tod geführt.
Wieder liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. Sie ließ sie laufen. Ihr Schmerz war so groß, denn wenn Lorenzo für immer von ihr gegangen war …
Was musste er nur erleiden? Noch einmal der Gefangene seines Feindes zu sein, das war mehr als erniedrigend. Er hatte erfahren, was es bedeutete, drei Jahre als Rudersklave unter dem Gefürchteten zu dienen, und wenn es Michael nicht gelang, ihn freizukaufen, würde er dieses Mal vielleicht wirklich zugrunde gehen.
Nein, nein, er durfte nicht sterben, denn der Gedanke an ein Leben ohne ihn war ihr unerträglich. Sie war seine Frau, seine Gemahlin, und ihr Herz gehörte nur ihm allein. Er musste leben – sie wusste nicht, was sie ohne ihn anfangen sollte.
Lorenzo erforschte behutsam seinen Kopf. Er war einige Stunden bewusstlos gewesen, nachdem man ihn gefangen genommen hatte. Er war von hinten angegriffen worden und hatte einen schweren Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Beim Aufwachen wusste er augenblicklich, dass er sich in einer Kabine auf der Korsarengaleere befand. Warum war er nicht mit den anderen Gefangenen in die Bilge geworfen worden?
Wusste der Pirat, der ihn gefesselt hatte, wer er war? Er war sich beinahe sicher, dass es so sein musste. Wurde er also gegen ein Lösegeld festgehalten? Oder hatte Rachid ihm ein besonderes Schicksal zugedacht? Ja, natürlich, darauf lief es hinaus. Dies war der einzig mögliche Grund, warum er nicht mit den anderen angekettet worden war.
Sie waren jetzt schon seit langer Zeit Feinde, und Rachid hatte sich seinen Beinamen nicht umsonst verdient. Es war ungewöhnlich, dass seine Männer Gefangene nahmen, es sei denn, sie brauchten neue Galeerensklaven oder erwischten jemanden, mit dem sie viel Lösegeld erpressen konnten. In der Regel töteten sie ohne Skrupel, plünderten die geraubten Schiffe und versenkten sie anschließend – es sei denn, sie erschienen ihnen kostbar genug, um sie zu verkaufen.
Lorenzos Schläfen pochten, während er dalag und über das Schicksal nachdachte, das ihm bevorstand. Er würde wohl entweder als Sklave verkauft, ans Ruder gekettet oder gegen Lösegeld festgehalten werden. Rachid hatte guten Grund, ihn zu hassen, und es war davon auszugehen, dass man ihn am Leben halten würde, um ihn vor seinem Tod mit irgendwelchen Foltermethoden zu quälen.
Er war noch ein Knabe gewesen, als er zum ersten Mal geraubt worden war. Gegen die skrupellosen Männer anzukämpfen, die ihn verschleppten, hatte er nichts ausrichten können. Als er an ein Ruder gekettet und ohne eine Erinnerung an sein Leben vor der Gefangenschaft wieder zu Bewusstsein gekommen war, überlebte er durch seine Instinkte. Dieses Mal würde es anders sein, denn Rachid wusste jetzt, wer er war und was man ihm angetan hatte.
Lorenzo war sich klar, dass er wachsam bleiben musste, und zugleich musste er den Korsaren das Gefühl geben, immer noch unter dem Schlag auf seinen Hinterkopf zu leiden. Nur wenn sie ihn für krank hielten und glaubten, dass er nicht in der Lage war zu fliehen, gab es vielleicht eine Chance zu entkommen.
Jede Gelegenheit, die sich bot, würde er nutzen. Es war ihm lieber, bei einem Fluchtversuch zu sterben, als erneut versklavt zu werden – oder seinem Feind die Genugtuung zu lassen, ihn zu demütigen. Selbst der Wille des stärksten Mannes konnte unter der Folter gebrochen werden, weshalb er einen schnellen Tod vorzog.
Einen Augenblick lang dachte er an Kathryn. Eventuell würde Rachid ihn gegen ein Lösegeld freilassen, und er konnte nach Rom zurückkehren. Dann würde er sie in seinen Armen halten können. Er wollte auf diese Möglichkeit hoffen,
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