Geheimnisvolle Beruehrung
der Wand einen Anruf meldete. »Das ist Anthony«, sagte sie und drückte einen versteckten Knopf am Schreibtisch, um den Anruf entgegenzunehmen.
Kaleb fragte sich, was Anthony wohl tun würde, wenn er wüsste, dass seine Nichte sich in seiner Obhut befand. Wahrscheinlich würde er alle Kräfte der NightStars mobilisieren, um sie wiederzubekommen – der Clan hatte sie still, aber unbeirrbar all die Jahre gesucht. Das wusste Kaleb, weil er sich des Öfteren vor den Suchenden verborgen und ihre Berichte gehackt hatte. Hätten sie Sahara vor ihm gefunden, wäre er vorbereitet gewesen und hätte sich die Information zunutze gemacht, denn Sahara gehörte ihm allein.
»Erinnert ihr euch noch an Einzelheiten über den Massenwahnsinn auf der Sunshine Station?«, fragte er, nachdem Nikita Anthony auf den neuesten Stand gebracht hatte.
»Natürlich«, sagte Anthony sofort. »Einhundertvierzig Leben hat die Massenpsychose gekostet – die Leute haben sich gegenseitig brutal ermordet.«
Nikita nahm den Faden so leicht auf, als hätte sie mit Anthony telepathisch kommuniziert. »Man führte den Ausbruch auf einen schweren Defekt der Konditionierung zurück. Dieselbe Erklärung gab es für einen Zwischenfall auf einer Forschungsstation in Russland.« Sie zögerte. »Du hast mir schon einmal einen ›kranken‹ Teil des Medialnet gezeigt. Ein kleines Gebiet, das sehr versteckt lag. Willst du damit sagen, die Psychose sei auf eine Infektion zurückzuführen, die sich so weit ausgebreitet hat, dass sie eine solche Störung hervorrufen kann?«
Es war nicht verwunderlich, dass Nikita eine solche Verbindung herstellte – sie war schließlich auf geistige Viren spezialisiert. »Genau das will ich sagen.« Da sie alle von Geburt an mit dem geistigen Netzwerk verbunden waren, konnte niemand den Kontakt mit dem Virus vermeiden – jede Millisekunde des lebensnotwendigen Biofeedbacks konnte das tödliche Gift enthalten. »Anscheinend hat die Infektion den ersten Wirt angegriffen.«
Das unendlich weite Medialnet konnte eine Menge Schläge verkraften, aber es war nicht unzerstörbar. »Der heutige Schaden hat keine Toten gefordert, doch nur, weil er sich auf eine Region der ehemaligen Sunshine Station beschränkte.« Die verlassene Forschungsstation war meilenweit entfernt von allen Lebewesen und nur noch ein Mahnmal des Todes mit gefrorenem Blut an den Wänden und verrottenden Essensresten auf den Tischen.
»Wir dürfen nicht zulassen, dass die Infektion sich in bevölkerten Gebieten ausbreitet.« Wie stets erfasste Nikita sofort den wichtigsten Punkt. »Wenn irgendwo dort so etwas passiert wie auf der Sunshine Station, gibt es ein Massaker.«
Gebannte Stille, in der alle drei an die Folgen dachten, wenn Städte wie San Francisco oder Moskau von Medialen mit mordlüsternem Wahnsinn überrannt würden. Vom Virus Befallene würden alles töten, was ihnen in den Weg kam, ihre Mitbewohner in Stücke zerfetzen und die Straßen mit Blut tränken.
7
Anthony fand als Erster Worte. »Kann man das Virus eindämmen?«
»Der Netkopf errichtet gerade eine Barriere, damit niemand die infizierte Stelle betritt, aber ich glaube kaum, dass er damit das Virus selbst aufhalten kann.« Seinen Plan zur »Heilung« würde er erst dann Nikita und Anthony mitteilen, wenn er genug in der Hand hatte, um die Macht im Medialnet zu übernehmen.
»Vielleicht könntest du ein paar nützliche Informationen beisteuern«, sagte er zu Nikita. Ihre Fähigkeit in Bezug auf geistige Viren hatte sie zwar nie offiziell bestätigt, doch in diesem kleinen Kreis wussten alle Bescheid.
Sie nickte nur, was schon beachtlich war. »Ich werde mich heute Nacht noch darum kümmern.«
»Wenn das Virus so lange gebraucht hat, um die Region um die Sunshine Station zu vernichten, schreitet die Krankheit doch eher langsam voran.« Die silbernen Schläfen Anthonys glänzten im Schein seiner Schreibtischlampe.
»Alles scheint dafür zu sprechen, dass es zwar stärker wird, sich aber nicht schneller verbreitet«, bestätigte Kaleb. »Wir dürfen das Virus nicht aus den Augen lassen, doch die Makellosen Medialen sind im Augenblick die größere Bedrohung.«
Nikita und Anthony tauschten einen Blick, eine stille Übereinkunft ohne telepathischen Austausch. Kaleb überlegte zum wiederholten Mal, wie eng die beiden inzwischen zusammenarbeiteten, obwohl es eigentlich gleichgültig war. Denn selbst mit ihrer geballten wirtschaftlichen Macht und den großen finanziellen Mitteln würden sie
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