Geheimnisvolle Beruehrung
zitterten, knickten aber diesmal nicht weg. »Vielleicht sollte ich den Rat eines Spezialisten suchen«, sagte sie leise, nur um zu sehen, wie jemand reagierte, der sie im Haus nach Belieben umherstreifen ließ, ihren Geist beschützte und ihr die Möglichkeit gab, sich darüber zu informieren, was in der Welt vorging – aber die Türen mit einer Alarmanlage gesichert hatte, sodass sie das Haus nicht verlassen konnte.
»Möchtest du mit einem M-Medialen sprechen?«
Überrascht starrte sie ihn an. »Was ist, wenn ich ja sage?«
»Dann stelle ich den Kontakt zu den besten Spezialisten her.«
Trotz der Themen, über die sie sprachen, und der vielen Zeit, die sie miteinander verbrachten, wurde sie nicht schlau aus ihm. Es war zum Verzweifeln. Weder physisch noch durch Worte gab er irgendetwas preis. Seine Kontrolle war stärker ausgeprägt als bei jedem anderen Medialen. »Und wie willst du das machen? Willst du noch jemanden hier einsperren?«
Er wich ihrem Blick nicht aus. »Niemand verrät meine Geheimnisse.«
Die knappe Erwiderung nahm ihr den Atem. Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass jemand meinetwegen in Angst und Schrecken versetzt wird.« Selbst wenn es sich um jemanden in Silentium handelte.
Er war so vollkommen regungslos, dass sie geglaubt hätte, allein zu sein, wenn sie ihn nicht vor sich gesehen hätte. »Es gibt andere Möglichkeiten.«
Sie hätte zu gerne geglaubt, dass es der Versuch eines Kompromisses war, dass er nicht der kaltblütige Mörder war, zu dem der Artikel ihn gemacht hatte. Und dieses Bedürfnis ängstigte sie zu Tode – sie wusste auch ohne einen Spezialisten, dass ihre Gefühle Kaleb gegenüber ungesund waren und tödlich enden konnten.
»Ich bin noch nicht bereit dazu.« Nach all den Jahren des Ausgeliefertseins war der Gedanke unerträglich für sie, dass jemand versuchen könnte, ihre Geheimnisse zu ergründen. »Ich möchte nur eines«, erklärte sie dem Mann, der sie gefangen hielt. »Ich möchte frei sein.«
Kaleb schloss die Augen, und die Welt zersprang. Sekunden später stand Sahara auf dem schimmerndem schwarzen Sand eines windumtosten Strandes, an dem kilometerweit in jeder Richtung nur Sanddünen zu sehen waren, auf denen sich Strandhafer im Wind wiegte. Wellen schlugen sanft ans Ufer, hinterließen feine Spuren im Sand, und Gischt vermischte sich mit kleinen Muscheln, die in der rötlichen Nachmittagssonne glitzerten.
»Ist das real?«, fragte sie leise aus der Angst heraus, er hätte nur eine Illusion in ihrem Kopf hervorgerufen, die so genau war, dass sie sogar den salzigen Wind auf den Lippen spürte.
»Schmerz ist der beste Indikator, wenn man wissen will, ob etwas real ist.«
Den Satz kannte sie aus den Lektionen, die allen medialen Kindern gelehrt wurden.
Sie kniff sich in die empfindliche Haut der Achsel und zuckte zusammen. Dann lächelte sie, streifte die Schuhe ab und bohrte die Zehen in den warmen Sand, der gar nicht schwarz war, sondern in allen möglichen Farbtönen schimmerte.
Sie wusste natürlich, dass es keine richtige Freiheit war, denn Kaleb stand wachsam auf der nächsten Düne, doch für ein Mädchen, das in einem Käfig zur Frau geworden war, genügte es erst einmal. Im Augenblick wollte sie es nur genießen und die Sorgen auf später verschieben.
Sie rannte herum, breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. Über ihr ein unfassbar blauer Himmel, auf der Haut die Liebkosung der Sonne und zwischen den Zehen feiner Sand. Sie lachte lauthals, und als ihr schwindlig wurde, ließ sie sich in den warmen Sand fallen. Kaleb hatte sich zu Füßen der Düne niedergelassen, die Arme auf den Knien, der zweifellos teure Anzug wirkte vollkommen deplatziert in der unberührten Natur.
Und doch … passte er hierher.
Nie hätte sie damit gerechnet, dass Kaleb Krychek an diesen wilden Ort passen könnte, wo man die Wucht der See selbst dann ahnte, wenn sie ruhig war, und der Wind hartnäckig am Strandhafer und an ihren Haaren zerrte. Kaleb war ebenso ein Teil der Landschaft wie die Dünen und das Wasser … und er war ebenso einsam.
Sie runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass sie die Augen nicht von ihm lassen konnte, dass ihre Gedanken immer wieder zu ihrem Wärter zurückkehrten, stand auf und ging zu den Klippen, die etwas weiter weg lagen. Auch nach einer Stunde waren sie noch nicht näher gekommen, doch die friedlich schwappenden Wellen und die salzige Luft hatten ihr besser getan, als jede Untersuchung durch einen
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