Geheimnisvolle Beruehrung
Welt gesetzt und sich dann aus der Verantwortung geschlichen hatten.
»Was mein Mentor mir beigebracht hat.«
Eisige, klirrende Kälte in ihrem Herzen. »Die Antwort könnte ich noch nicht ertragen.« Sie verdächtigte ihn furchtbarer Taten, doch falls er zugeben würde, dass er Santano Enrique beim Foltern und Morden geholfen hatte, würde sie völlig den Boden unter den Füßen verlieren.
Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht, und doch hatte sie das gespenstische Gefühl, die falsche Antwort gegeben und ihn dadurch verletzt zu haben. Ein weiteres Zeichen für den Wahnsinn, der sie befallen hatte, weil sie ihn weiter begehrte, ganz egal, was er getan, welche moralischen Grenzen er überschritten hatte oder wie viel Blut an seinen Händen klebte.
Sie streckte die Hand aus, musste einfach seine Fingerspitzen berühren. »Warum hältst du mich gefangen?«, fragte sie leise.
Er ergriff ihre Hand, seine gebräunten Schultern schimmerten golden im Sonnenlicht. »Weil du mir gehörst.«
Schauer liefen ihr über den Rücken, so besitzergreifend klangen die Worte, so eindringlich schauten die Obsidianaugen. »Wie die Gestaltwandlerfrauen Enrique gehört haben?« Die Worte fielen wie blutiger Regen aus wolkenlosem Himmel.
Er hob ihre Hand an die Lippen und küsste die Innenfläche – sie spürte ein Kribbeln im Unterleib. »Nein.« Hart, scharf. »Sie haben sich ihm nie hingegeben.«
Sie hielt den Atem an. »Habe ich das getan?« Sie zog die Hand zurück. »Habe ich mich dir hingegeben?« Schon mit sechzehn war ihre Konditionierung nicht in Ordnung gewesen, doch der Gedanke, sie hätte das größte Tabu ihrer Gattung gebrochen und sich mit Kaleb körperlich vereint, löste heftige negative Gefühle aus.
Andererseits musste eine so brennende Begierde über Jahre reifen. Ein Zweiundzwanzigjähriger mit gefährlichen Fähigkeiten war sicher ungeheuer attraktiv für eine Sechzehnjährige gewesen … das war er sieben Jahre später ja immer noch. Ihr brach der Schweiß aus bei der Vorstellung, die Berührung der kräftigen Hände zu spüren, obwohl es natürlich eine unverzeihliche Sünde gewesen wäre, wenn er eine Jugendliche auf diese Weise ausgenutzt hätte.
Er stand auf und legte ihr die Hand an die Wange. »Ich bin noch Jungfrau.«
Das kam völlig unerwartet. Sie schüttelte den Kopf, ihre Kehle war staubtrocken. »Das ist keine Antwort auf meine Frage.« Sagte ihr nichts darüber, wer er für sie war, was er früher für sie gewesen … oder ob überhaupt irgendetwas zwischen ihnen gewesen war. Die Anziehung, die sie spürte, konnte auch ein Bewältigungsmechanismus ihrer zersplitterten Psyche sein, den der gerissene Kaleb zu seinem Vorteil nutzte. Man wurde doch nicht Ratsherr mit siebenundzwanzig, wenn man nicht höchst intelligent war. Ihre Empfänglichkeit für seine körperlichen Vorzüge konnte er ebenso rücksichtslos ausnutzen wie alles andere, jede Berührung konnte Berechnung sein.
»Ganz egal, was ich sage, du würdest mir doch nicht glauben«, sagte er und fuhr ihr mit dem Daumen über die Unterlippe. »Du traust mir nicht.« Er drehte sich um und ging. »Ich muss ein paar Schreiben aufsetzen. Wir könnten später spazieren gehen, wenn du dich von heute Morgen erholt hast.«
Vollkommen überrascht von dem plötzlichen Umschwung, nickte sie und sah dem muskulösen Rücken hinterher.
Das kann auch nur eine ganz normale Reaktion darauf sein, dass ich mich in seiner Gewalt befinde
, sagte sie sich verzweifelt, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Denn ihr fielen Bilder aus der ersten Zeit ihrer Gefangenschaft ein, in der sie noch nicht in der Zelle gelebt hatte.
In den ersten Monaten hatte sie hauptsächlich ein Wärter beaufsichtigt. Er tat ihr nie etwas zuleide, besorgte ihr zusätzliche Decken, etwas zu lesen und sogar Lernspiele, damit sie ihren Verstand beschäftigen konnte – obwohl sie von den Betäubungsmitteln im Essen benommen war. Er war groß und blond, hatte eine Adlernase und leuchtend grüne Augen – ein Bild von einem Mann und nur drei Jahre älter als sie.
Zweifellos hatte man ihn ausgewählt aufgrund der möglichen Wirkung, die er auf ein verängstigtes Mädchen mit wahrscheinlich schwacher Konditionierung haben würde, doch nicht einen einzigen Augenblick vergaß sie, dass er ihr Wärter war und nur dazu beitragen sollte, dass sie mit dem hübschen Käfig zufrieden war. Nie sehnte sie sich nach seiner Berührung, vermied im Gegenteil jeglichen Kontakt, auch wenn er sich
Weitere Kostenlose Bücher