Geheimnisvolle Beruehrung

eine öffentliche Hinrichtung würde vielleicht zu weit gehen. Ich werde die Angelegenheit in aller Stille abwickeln. Dawes’ Verschwinden wird genügen.«
    Kaleb hatte in letzter Zeit einiges »in aller Stille« abgewickelt, er war sehr viel gefährlicher als Vasquez je sein würde, doch im Augenblick musste Anthony mit Kaleb zusammenarbeiten. Denn noch waren die Makellosen Medialen eine mörderische Gefahr … allerdings hatte Anthony den Verdacht, dass Kaleb sich immer mehr ebenfalls in diese Richtung bewegte.
    Vielleicht hatte er sich im Fall von Allan Dawes gar nicht an der Nase herumführen lassen und wollte Anthony nur zum Komplizen machen. »Wenn du Unterstützung in dieser Angelegenheit brauchst, steht NightStar gerne zur Verfügung«, sagte Anthony, denn sein Verdacht, Kaleb könnte in die Machenschaften der Makellosen Medialen verwickelt sein, hatte noch keinen kritischen Punkt erreicht.
    »Dir ist aber klar, dass damit die Verpflichtung in Bezug auf Sahara Kyriakus nicht abgegolten ist.«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich hätte dich lieber zum Verbündeten als zum Feind«, sagte Kaleb. »Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass ich Unmögliches verlangen werde. Zunächst möchte ich nur, dass ihr euch öffentlich auf meine Seite stellt.«
    »Du willst, dass NightStar dich dabei unterstützt, die Kontrolle über das Medialnet zu erlangen?«
    »Du musst dir vor Augen halten, welche anderen Alternativen es gibt.« Kaleb behielt den üblichen kühlen und beherrschten Tonfall bei. »Entweder zerstören die Makellosen Medialen das Netz, oder unsere früheren Ratskollegen dehnen ihre Machtbereiche aus und versuchen, sich gegenseitig und natürlich auch uns zu eliminieren. Ein Bürgerkrieg wäre für unsere Gattung verheerend.«
    Kalebs Analyse war richtig, er hatte allerdings verschwiegen, dass niemand wusste, was er mit dem Netz vorhatte, sobald es in seiner Gewalt wäre. »Anhand der jetzigen Fakten kann ich dir nicht die volle Unterstützung zusagen, aber ich werde nichts gegen dich unternehmen, ohne dir vorher einen Hinweis zukommen zu lassen.« Ein großes Entgegenkommen von Anthonys Seite.
    Kaleb nickte und unterbrach dann die Verbindung. Anthony hatte nicht damit gerechnet, dass Kaleb so leicht nachgeben würde, doch das machte ihn nur noch misstrauischer in Bezug auf die Motive des TK -Medialen. Der Mann war dermaßen undurchsichtig, dass er zum Problem werden konnte. Die Hellsichtigen bekamen nur Bilder von zerstörerischer Dunkelheit, wenn er sie auf Kaleb ansetzte.
    »Nichts«, hatte eine V-Mediale vor Furcht zitternd gesagt. »Wenn ich mich auf Kaleb Krycheks Zukunft konzentriere, sehe ich nur den Tod vor mir … überall und immer nur den Tod.«

MEDIALNET- BAKE : AKTUELLEAUSGABE
    Leserbriefe
    Sternenbrief
    In vorherigen Ausgaben wurde die Frage nach der zukünftigen Brauchbarkeit von Silentium aufgeworfen.
    Meiner Meinung nach belegt gerade das Aufkommen einer solchen Diskussion, ohne dass die Urheber durch die Dissonanz zum Schweigen gebracht werden, ein schwerwiegendes Problem in der Struktur des Programms. Noch vor zwei Jahren wäre ein solches Thema im Keim erstickt worden, bevor es sich weltweit in Chatrooms und persönlichen Gesprächen ausgebreitet hätte.
    Die Makellosen Medialen sind extrem fanatisch, dennoch könnten sie mit ihren Ausführungen einen wichtigen Punkt zur Sprache bringen: Die neue Freiheit der Meinungsäußerung ist nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln. Unsere Gattung hat sich für Silentium entschieden, weil unser Geist ohne diese Beschränkung zu Wahnsinn und Gewalt neigt. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern eine Tatsache, die durch eine blutige Vergangenheit belegt ist.
    Vor mehr als hundert Jahren stand unsere Gattung kurz vor der Auslöschung, die Jugend wurde zu Tausenden von anderen Medialen hingeschlachtet, Hunderttausende waren dem Wahnsinn des gebrochenen Verstands verfallen. Wir waren gewalttätiger als Gestaltwandler, deren Körperlichkeit wir nun als Zeichen von Minderwertigkeit ansehen, und grausamer als die Menschen, die wir ebenfalls als unterlegen betrachten.
    Doch wieder steht unsere »überlegene« Gattung am Rand einer Katastrophe.
    Ich wünsche mir die Vergangenheit nicht zurück, doch es ist nicht zu leugnen, dass Silentium in den letzten zehn Jahren von seinem ursprünglichen Weg abgekommen ist. Gerüchteweise war es auch nie so wirkungsvoll, wie frühere Räte uns glauben machen wollten. Abtrünnige sollen ausgeschaltet worden sein,