Geheimnisvolle Beruehrung
wieder hinter den Schreibtisch und bat sie, Platz zu nehmen. »Im Medialnet existierst du nicht.«
»Sehr gut.« Ihr Vater klang sehr bestimmt. »Dann ist sie sicher vor weiteren Entführungen und Gefangenschaften, selbst wenn Krychek sie jetzt beschützen muss.«
»Stimmt.« Anthony lehnte sich zurück. »Weißt du, wer hinter deiner Entführung gesteckt hat?«
Sahara hatte sich nicht mit Kaleb abgesprochen, sah aber keinen Anlass, die Wahrheit zu verheimlichen – und natürlich war es die Wahrheit, Kaleb hatte keinen Grund, sie anzulügen. »Es war Tatiana Rika-Smythe.«
Anthonys Gesicht zeigte keinerlei Überraschung, nur den wachsamen Blick eines Mannes, der einer der einflussreichsten Familien im Medialnet vorstand. »Hat Kaleb erwähnt, warum er dich gerettet hat?«
Sahara zögerte … und entschied sich für eine Lüge. »Es war eine Herausforderung für ihn, und der Clan schuldet ihm nun einen Gefallen.« Was zwischen ihr und Kaleb war, ging nur sie beide etwas an. Sie würde niemandem gestatten, sich in die leidenschaftliche Beziehung aus verborgenen Erinnerungen einzumischen. Das Bettelarmband trug sie unter dem weißen Hemd, ein Talisman der Stärke von einem Mann, der ihre größte Schwäche sein konnte. »Er wird sicher gedacht haben, dass der Aufwand sich lohnen würde.«
Der Blick aus Anthonys braunen Augen sagte ihr, dass er wusste, dass sie etwas verschwieg, doch Sahara gab nicht nach. Ein Geheimnis, flüsterte das Mädchen, das sie einmal gewesen war.
»Ein zweiter Vorteil der Unsichtbarkeit im Netz liegt darin, dass dein gebrochenes Silentium so der Pro-Silentium-Fraktion verborgen bleibt.«
Mit bebenden Händen umklammerte sie die Armlehnen. »Wirst du mir befehlen, mich einer Rekonditionierung zu unterziehen?« Nie mehr würde sie jemandem gestatten, ihren Verstand umzuformen, und wenn Anthony so etwas im Sinn hatte, musste sie das wissen.
»Nein.« Ihr Vater sah seinen Halbbruder an, es war deutlich, wem seine Loyalität galt. »Niemand rührt Saharas Verstand an.«
Anthony blieb ganz ruhig. »Ja, dafür ist es zu spät.« Er beobachtete sie immer noch sehr genau. »Selbst wenn Kaleb nicht in deinen Kopf eingedrungen ist, so hat dich Tatiana schließlich lange genug in den Fingern gehabt. Wie sehr bist du dir sicher, dass sie dir nicht alle Geheimnisse entrissen hat?«
»Vollkommen sicher«, sagte Sahara ohne Zögern. Anthony würde sie dennoch im Auge behalten, das war Teil seiner Aufgabe als Oberhaupt des Clans, und sie nahm es ihm nicht übel. Er würde nichts Besorgniserregendes finden – noch vor dem chaotischen Labyrinth hatten ihre einzigartigen natürlichen Sicherungen einen undurchdringlichen Schild gegen jeglichen Angriff aufgebaut.
»Deshalb hat Tatiana ja meine Schilde mit Gewalt aufgebrochen und mich foltern lassen.« Doch da hatte Sahara schon das Labyrinth geschaffen, das ihr nicht nur geholfen hatte, ihre Geheimnisse und eine Art Selbstgefühl zu bewahren, sondern ihr auch einen Ort geboten hatte, an dem nichts wehtat, und sie so nicht Gefahr lief, unter der Folter zu kooperieren.
»Du hast recht«, sagte Anthony überraschenderweise. »Tatiana würde nie offen Gewalt anwenden, wenn sie einen telepathischen Wurm oder Ähnliches einschleusen könnte.« Er zögerte kurz. »In der Familie bist du auch mit gebrochenem Silentium sicher. Nach außen hin empfehle ich dir größte Vorsicht. Du musst lernen, dich gut zu verstellen.« Kalt und pragmatisch waren die Worte, aber dennoch unerwartet trotz der Vorkommnisse, die den Clan in den letzten Jahren verändert hatten.
»Eines noch«, sagte Anthony eine halbe Stunde später, als sie in der Tür stand. »Kaleb hat dich gerettet, doch du solltest nicht den Fehler begehen, ihm zu trauen. Noch nie im Leben hat er selbstlos gehandelt – und er ist äußerst manipulativ, er könnte dich freigegeben haben, um deine Loyalität zu gewinnen.«
Er sagte nicht, dass derjenige, der Saharas Vertrauen besaß, Zugang zu ihrer Fähigkeit hatte, einer Gabe, die so leise und furchterregend daherkam, dass nichts und niemand sich ihr in den Weg stellen konnte, und die dennoch keine Spur hinterließ. Keine Leichen, keinen Zorn, keine Rebellion. Die perfekte Waffe für einen Mann, der das Medialnet beherrschen wollte.
Nachdem sich die Tür hinter Sahara und Leon geschlossen hatte, überlegte Anthony, was er als Nächstes tun sollte. Obwohl er sich auch an der Suche nach seiner Nichte beteiligt hatte, soweit es seine Aufgaben zugelassen
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