Geheimnisvolle Beruehrung
wilden Besuchern retten können.« Vaughn zögerte und fügte dann hinzu: »Es wird aber keiner aggressiv werden bei dem Geruch, der an Ihnen haftet, vermutlich stammt er von Krychek.«
Sahara schnappte nach Luft und fing Vaughns forschenden Blick auf. Ihr wurde plötzlich klar, dass er intuitiv erfasst hatte, wie eng ihre Beziehung zu Kaleb war. »Ist etwas Schlimmes an dem Geruch?«, fragte sie und spürte, wie sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog.
»Nein. Nur etwas sehr Gefährliches.«
Eine Stunde später brach die Morgendämmerung herein, und Sahara verabschiedete Faith und Vaughn. »Ich komme gut allein klar, ganz sicher«, erklärte sie ihrer Cousine, als diese auf der Plattform stehen blieb. »Falls irgendetwas nicht stimmt, habe ich ja eure Nummern.«
Faith lächelte reumütig. »Tut mir leid, ich bin überbehütend. Ab jetzt werde ich dich in Ruhe lassen.«
»Ruhen Sie sich nur aus und werden Sie ganz gesund«, sagte Vaughn und strich unerwartet zärtlich über Saharas Wange. »Hier sind Sie sicher.«
Sahara sah ihnen nach. Mit ihrer Familie hatte sie wirklich Glück. Sie hatte mit einer ganzen Reihe von Fragen über Kaleb gerechnet, doch Faith hatte nur wissen wollen, ob Kaleb sie irgendwie unter Druck setzte. Nachdem Sahara das verneint hatte, hatte ihre Cousine versprochen, Anthony nichts über ihre Beziehung zu Kaleb zu erzählen. Das Alphatier der Leoparden mussten sie aber einweihen.
»Wissen Sie, was wir mit Santano Enrique gemacht haben?«, hatte Vaughn grimmig gefragt.
Sahara hatte genickt, und Vaughn hatte fortgefahren: »Nach der Hinrichtung des kranken Mistkerls ist Kalebs Name aufgetaucht – wir sind nur nicht hinter ihm her, weil es keine Anzeichen dafür gab, dass er in der Nähe der Opfer gewesen ist, von denen wir wussten, aber das heißt noch lange nicht, dass er unschuldig ist. Seien Sie vorsichtig. Und falls er Ihnen je etwas zuleide tut, kommen Sie zu mir.«
Ich war dabei, bei jeder Folter, jedem Mord.
Kalebs gruseliges Geständnis ging ihr nicht aus dem Kopf. Eine gesunde Reaktion wäre gewesen, sich damit Faith und Vaughn anzuvertrauen, doch sie hatte es nicht getan. Denn tief in ihrem Herzen glaubte sie nicht, dass er zu so etwas Schrecklichem fähig war. Das Mädchen in ihr rebellierte gegen diese Vorstellung. Vielleicht zeigte das aber nur, wie besessen sie schon war. Dennoch mochte sie ihn nicht aufgeben, bevor sie nicht die ganze hässliche Wahrheit kannte, die sich hinter diesen Worten verbarg.
Deshalb hatte sie geschwiegen, und deshalb telepathierte sie eine halbe Stunde, nachdem Faith und Vaughn sie verlassen hatten.
Möchtest du mein Baumhaus sehen?
Ist das eine Einladung?
Ja.
Als er in schwarzer Hose und dunkelgrauem Hemd vor ihr auftauchte, hatte sie das Gefühl, als hätte sie ein verlorenes Stück von sich wiedergefunden. »Es ist fast Frühstückszeit. Isst du mit mir?« Der Drang, für ihn zu sorgen, wurde immer stärker.
Niemand anders hatte es je getan oder würde es je tun.
»Ich habe schon gegessen«, sagte er, wehrte ihre Hand aber nicht ab, als die Finger sanft über seinen Nacken strichen. »Doch du solltest etwas zu dir nehmen.«
Vielleicht weil sie in einem Baumhaus stand, fern von allem, was sie kannte, und trotz des kurzen Zusammenbruchs vor Anthony stark genug dafür war. Vielleicht, weil sie die Angst bekämpfen musste, ihren Vater zu verlieren, und Zeit kostbarer als Diamanten war. Vielleicht, weil Kaleb ihre Berührung nicht abgewehrt hatte, obwohl er wusste, was es ihn kosten würde.
Oder … vielleicht, weil ihr das Herz so schwer wurde bei einem Umstand, den alle außer ihr vergessen hatten: Der tödlich gefährliche Mann vor ihr war ein schutzloses Kind gewesen, als Santano Enrique ihn zu sich geholt hatte. Was auch immer der Grund war, ihr war mit einem Mal völlig klar, dass die Zeit des Schweigens vorbei war. Wenn sie jemals mehr als das zarte Band zwischen ihnen knüpfen wollte, musste sie die Frage stellen, vor der sie sich so lange gedrückt hatte. »War es dein freier Wille, Santano Enrique beim Morden zuzusehen oder sogar zu helfen?«
25
Schweigen.
In Saharas Kopf war es jedoch laut, die Frage hatte ein verborgenes Verlies geöffnet. Erinnerungen schwirrten darin, durch Zeit und die falschen Schlüsse verschleiert, die sie als verängstigtes Mädchen gezogen hatte – ein Mädchen, das verzweifelt versucht hatte, das Wichtigste vor dem Labyrinth zu retten, und darum das Verlies nicht mit Worten, sondern mit Gefühlen
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