Geheimnisvolle Palmblätter: Ist unser Leben Schicksal oder Zufall, Karma oder Chaos? (German Edition)
ausdehnen, denen Menschen zum Opfer fallen.
Die Karmalehre erlaubt zwei Antworten:
Es bleibt durchaus im Rahmen der fünfundzwanzig Prozent Spielraum für den freien Willen, dem Bösen zu widerstehen und sich weder aktiv noch passiv daran zu beteiligen. Der Film Schindlers Listeund die nachfolgenden Diskussionen und Darstellungen ähnlicher Beispiele haben erneut unterstrichen, daß dort, wo Menschen beteiligt sind, Menschen auch einen Freiraum für eigene Entschei dungen besitzen. Ob dieser Spielraum genutzt wird oder nicht, begründet das wahre Maß an Freiheit, das ein Mensch zu leben bereit ist. Schuld, wie der richtungsweisende Psychiater und Begründer der Logotherapie („sinnzentrierte Psychotherapie“), der ™sterr eicher Viktor Frankl, in einem unlängst im ORF ausgestrahlten Fernsehinterview, Schuld ist immer personenbezogen, immer individuell – Scham übrigens auch. Viktor Frankl war drei Jahre lang in vier Konzentrationslagern eingesperrt und wurde gequält, wie unzählige andere Menschen. Er sagte übrigens von sich, daß er nur überleben konnte, weil er bewußt, hingebungsvoll und zäh einem Lebenssinn folgte.
Die zweite mögliche Antwort der Karmalehre, Schlimmes widerfahre immer nur jenen Menschen, die selber in einem früheren Leben anderes Schlimmes angetan hätten, stimmt zwar vielleicht. Ich persönlich kann sie jedoch nicht so einfach annehmen, weil darin ein Stück esoterisch verbrämter Verharmlosung, Teilnahmslosigkeit oder gar die versuchte Scheinlegitimierung unvorstellbarer Greueltaten mitschwingen könnte. Ich meine, daß der freie Willen, zum Beispiel jene fünfundzwanzig Prozent der Karmalehre, durchaus dafür verantwortlich gemacht werden müssen, wenn wir Menschen uns gegenseitig knechten, ausbeuten, foltern und ermorden. Hier sind meiner Ansicht nach wir selber und direkt gefragt, jeder Einzelne von uns, daß wir unser Leben anders gestalten.
Selbst die Bhagavad Gita, in der die Karmalehre am Beispiel des Prinzen Arjuna dargestellt wird, macht sehr deutlich, daß das Böse physisch bekämpft und das Gute aktiv und tatkräftig geschaffen werden muß. Allerdings geht es darum – und daß ist ein Hauptaspekt der Karmalehre –, das Notwendige ohne Egobeteiligung auszuführen. Man darf sich demnach nicht mit der Rolle, die man in diesem Leben spielt, identifizieren.
Wie verhält es sich allerdings, wenn bei Erdbeben, Flutwellen oder Verkehrsunglücken eine menschliche Einwirkung im Guten und im Bösen gar nicht stattfindet? Oder wie ist das mit angeborenen unheilbaren Krankheiten? Ist das dann auch „Karma“ aus früheren Existenzen? Streng nach der Karmalehre passiert hier etwas, das – auf wenn auch undurchschaubare Weise – mit dem Einzelnen individuell irgendwie zu tun hat. Es gibt Vertreter der Karmalehre, die uns erklären, daß auch solche Naturkatastrophen nur Menschen treffen, deren „karmisches Konto“ dadurch ausgeglichen wird. Ich gebe gern zu, daß ich nicht begreife, wie das im einzelnen zusammenhängen könnte.
Die Karmalehre an sich hebt jedoch die Qualität, Notwendigkeit und Wirksamkeit von Verantwortungsgefühl und wachem Bewußtsein, von menschlichem Mitgefühl und Liebe zu allen Lebewesen keineswegs auf, sondern stellt diese Merkmale vielmehr in den Mittelpunkt des Lebens. Die Einsicht in die universelle Verwandtschaft aller Wesen begründet das Bemühen um die Verwirklichung dieser Merkmale ausdrücklich.
In beiden Lehren – der christlichen und der Karmalehre – spricht man von einer „göttlichen Gnade“, die – noch ein Paradoxon: „unverdient“ – den Menschen zufließt, die sich aktiv und bewußt dafür zu öffnen bereit sind. Daß sie sich überhaupt dafür öffnen können, soll jedoch ebenfalls bereits die Wirkung eines Gnadenaktes sein.
Das war ein erster Durchgang, um uns mit manchen geistigen Herausforderungen und Schwierigkeiten des Themas handfest vertraut zu machen. Glauben Sie bitte nicht, daß ich das alles für einfach und klar halte. Es ist eher ein ziemlich undurchschaubarer Dschungel.
Deshalb hat die asiatische Philosophie den Begriff der „Maya“ geprägt, der eben nicht „Illusion“ bedeutet, sondern vielmehr die „Relativität von Denken und Fühlen“ bezeichnet.
Denkerisch werden wir die Grenzen von Ratio und Logik nicht überschreiten können, denkerisch werden wir die Begrenzungen der Wahrnehmungsfähigkeit unserer Sinne und der Verarbeitungskapazität unseres Verstandes nicht bewältigen können.
Dazu
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