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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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schlimmes Feuer.«
    »Geh und frag jemanden!«, drängte Grace sie. »Sieh mal nach, wer sonst noch wach ist im Haus.«
    Doch Jane hatte zu große Angst, und so zündete Grace eine Kerze an, wickelte sich zum Schutz gegen die bittere Kälte in ihre Decke und ging ins Treppenhaus. Unten stieß sie auf zwei Näherinnen, die sich aufgeregt mit einem Steinmetz unterhielten.
    »Was ist denn los?«, fragte Grace. »Warum läuten sämtliche Glocken?«
    »Wir wissen’s auch nicht«, erwiderte eines der Mädchen.
    »Wir haben Wilf auf die Straße hinausgeschickt, um was herauszubekommen«, erzählte die andere.
    Während sie warteten, ertönte plötzlich von vorn im Haus, wo die Verkaufsräume lagen, ein weiterer Glockenton – die Handklingel, die Mr oder Mrs   Unwin manchmal benutzten, um die Angestellten zum Kirchgang zusammenzurufen oder etwas Wichtiges anzukündigen. Grace ging in ihr Zimmer zurück, um Jane zu sagen, sie möge rasch nach unten kommen.
    Im vorderen Empfangszimmer war eine der Gaslampen entzündet worden, in deren Schein ein großer Marmorengel einen weichen, flackernden Schatten an die Wand warf. Mr   George Unwin erwartete sie, vollständig angekleidet und die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er war eben von Kensington eingetroffen und begierig, den Arbeitern die Neuigkeit zu berichten.
    Nachdem er um Stille gebeten hatte, fing er an: »Bestimmt fragt ihr euch alle, was vor sich geht.« Ein zustimmendes Gemurmel ertönte, und er fuhr fort: »Es ist meine traurige Pflicht, euch mitzuteilen, dass der Prinzgemahl unserer geliebten Königin diese Nacht verstorben ist.«
    Alle Anwesenden rangen kollektiv nach Luft. Ein oder zwei Mädchen fingen an zu weinen. Grace dachte an den Mann mit dem schönen, leidenschaftlichen Gesicht, den sie im Fenster der Kutsche gesehen hatte, und an die ganzen Grabinschriften, die sie erst gestern gelesen hatte. Sie hatten die Wahrheit gesagt: Der Tod lauerte auf jeden, ungeachtet von Rang und Namen.
    »Ich wusste nicht, dass er krank war, Sir!«, rief jemand aus.
    »Was ist mit der Königin? Das wird sie umbringen.«
    Mr   Unwin antwortete: »Ich brauche euch wohl kaum zu sagen, was für ein Schlag das für unser Land ist. Eine nationale Katastrophe.«
    Wieder ertönte zustimmendes Gemurmel, diesmal unterbrochen von vereinzelten Schluchzern.
    »Jedoch   … « Mr   Unwin brach ab und hustete. »Während dies zweifellos eine Tragödie für uns alle ist, bedeutet es für manche, äh   … « Er hielt inne und suchte nach den geeigneten Worten. »Ist es für die einen eine größere Tragödie als für die anderen. Und manche sind womöglich – obwohl ohne Frage ebenso niedergeschmettert wie die anderen – trotzdem   … nicht ganz so   … « Er brach endgültig ab und gab sein Ansinnen auf, den Arbeitern auf eine taktvolle Weise vermitteln zu wollen, dass er und Mrs   Unwin die Angelegenheit bereits erörtert hatten und zu dem Schluss gekommen waren, dass Prinz Alberts Tod eine Renaissance und eine neue Blütezeit im Trauergewerbe auslösen würden, denn sicherlich würde nun die gesamte Nation Schwarz tragen wollen.
    »Unser aller Gedanken weilen bei unserer geliebten Königin«, schloss er ehrerbietig.
    Es war, stellte Grace zwei Tage später fest, absolut erstaunlich: Die ganze Welt schien über Nacht schwarzgeworden zu sein. Läden, Omnibusse, Kutschen, Züge, Bäume, Pferde, Restaurants und Häuser waren mit meterlangen Stoffbahnen aus Bombasin und Krepp dekoriert worden. Hunde trugen schwarze Halsbänder, Katzen schwarze Schleifen und die weißen Babykleider wurden mit grob gerippter schwarzer Seide eingefasst. Als ob die Menschen ihre Treue zu Königin Viktoria und Prinz Albert zum Ausdruck bringen wollten – oder vielleicht den Eindruck erwecken wollten, sie gehörten zur Aristokratie und wären als solche mit der königlichen Familie verwandt.
    Gewöhnliche Beerdigungen wurden entweder rasch noch vorgenommen oder bis nach dem Begräbnis von Prinz Albert aufgeschoben, das für den 23.   Dezember festgesetzt wurde. Grace, die unbedingt Lily aufsuchen wollte, um herauszufinden, was es mit dem geheimnisvollen Verehrer auf sich hatte, erkannte bald, dass sich dafür so schnell keine Gelegenheit ergeben würde, denn zwei Tage später wurden die Mitarbeiter des Unwin-Unternehmens um sechs Uhr abends erneut von Mr   Unwin im roten Salon zusammengerufen. Auch Mrs   Unwin war zugegen, in einem äußerst schicken Trauerkleid aus Moiré-Seide, mit einem schwarzen

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