Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Pelzbolero über den Schultern und einer dreireihigen schwarzen Perlenkette um den Hals. Grace hörte eine der Näherinnen flüsternd zu ihrer Freundin sagen, die Chefin sehe aus wie Gräfin Rotz von Popelsburg.
    »Angestellte und Dienerschaft«, begann Mr   Unwin geschwollen, »nach dem Ableben des Gemahls unserer geliebten Königin ereilt uns aus dem Buckingham Palast die Nachricht, die Königin wünsche, dass alle im Land angemessen ihre Trauer bekunden.«
    Einige der Zuhörer schauten einander verdutzt an.
    »Eine
angemessene
Trauer«, wiederholte Mrs   Unwin und rückte ihre Kette zurecht, um die allgemeine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Auf genau so eine Gelegenheit – ein bedeutendes, hochrangiges Begräbnis – hatte sie gewartet, um ihre Perlen vorzuführen.
    »Zum Gedenken an unseren geliebten Prinz Albert ist ganz Großbritannien aufgefordert, zumindest eine schwarze Armbinde zu tragen«, führte Mr   Unwin aus. »Und von all jenen, die über Verbindungen zum Hofe verfügen, wird erwartet, dass sie drei Monate Volltrauer tragen.«
    Mrs   Unwin bestätigte dies mit einem weisen, traurigen Kopfnicken. Die Unwins besaßen absolut keine Verbindungen zum Hof, doch Mrs   Unwin hatte entschieden, dass sie und Charlotte mindestens sechs Monate Trauer tragen, ihre Korrespondenz ausschließlich auf schwarz umrandetem Papier tätigen und das Innere der Familienkutsche für diesen Zeitraum mit schwarzem Bombasin überziehen lassen würden.
    »Danach wird für weitere drei Monate eine Phase der Halbtrauer folgen und schließlich der Vierteltrauer«, fuhr Mr   Unwin fort.
    »Ganz genau.« Mrs   Unwin tupfte sich die Augen mit einem schwarz umrandeten Taschentuch ab, während sie im Geiste schon ihre Garderobe aus schmeichelndem Violett und zarten Lilatönen plante.
    Während sich seine Frau ganz auf ihre trauervolle Mimik konzentrierte, fuhr Mr   Unwin fort: »Was nun die Trauerbekleidung angeht, so werden einige von euch wissen, dass mein Cousin, Mr   Sylvester Unwin, Besitzer des Unwin-Trauerbekleidungskaufhauses in der Oxford Street ist.«
    Die Arbeiter nickten. Das wussten in der Tat alle.
    »Er hat uns um Unterstützung gebeten.« Er machte eine kleine dramatische Pause, um den Satz wirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Das Kaufhaus ist von einer Flut von Käufern ebenso wie postalischen Kaufordern überschwemmt worden. Schon frühmorgens um sechs Uhr bilden sich Schlangen vor dem Kaufhaus, und um sechs Uhr abends hört es noch immer nicht auf.«
    »Sie haben schon nach Uhrzeit gestaffelte Zutrittskarten verteilt«, warf Mrs   Unwin ein, »aber selbst so werden sie des gewaltigen Ansturms nicht Herr.«
    »Er kommt gar nicht mit dem Geldeintreiben nach!«, rief Mr   Unwin freudig erregt, woraufhin ihn seine Frau unsanft anstupste und er zurückhaltender fortfuhr: »Was ich sagen will, ist: Mr   Sylvester Unwin hat um so viele Mitarbeiter aus unserem Haus zu seiner Unterstützung gebeten, wie wir entbehren können. Sie sollen vorübergehend im Kaufhaus in derOxford Street arbeiten. Ihr erhaltet eine kurze Unterweisung, wie ein solch exklusives Kaufhaus funktioniert, und jeder von euch wird mit einem erfahrenen Mitarbeiter zusammenarbeiten«, erklärte Mr   Unwin. »Hier bei uns werden wir nur ein Skelettgerüst an Personal aufrechterhalten.« Er schwieg einen Moment. »
Skelettgerüst
. Das ist gut, was?«
    Es wurde respektvoll gelacht, dann las Mr   Unwin die Namen derer vor, die nicht im Kaufhaus arbeiten sollten: Der Hufschmied und seine Lehrlinge, zwei Stallburschen vom Land und ein paar ältliche Näherinnen waren offensichtlich nicht geeignet, adlige Kundschaft zu bedienen. Die jungen Frauen dagegen, einschließlich Grace, sollten ganz früh am nächsten Morgen im Kaufhaus anfangen.

UNWIN TRAUERBEKLEIDUNGSKAUFHAUS
    Oxford Street, London
    Bekleidung für Voll-, Halb- und Vierteltrauer. Für jede Phase Ihres Kummers der passende Bedarf.
    Stoff- und Warenmuster werden postwendend versandt.
    Zu unserer Kundschaft zählen Angehörige des englischen und ausländischen Adels.

Kapitel 19
    Das Unwin Trauerbekleidungskaufhaus befand sich unweit vom Oxford Circus in Londons berühmter Einkaufsstraße Oxford Street und lag damit ganz in der Nähe von Jay’s Trauermodenhaus, der allerersten und bekanntesten Adresse für Kaufhäuser, die sich ausschließlich auf Trauerbekleidung und -zubehör spezialisiert hatten. Zwischen den beiden Geschäften herrschte eine ständige Rivalität hinsichtlich der