Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
machte, jedenfalls verspürte sie plötzlich den Drang, ihn zu konfrontieren, ihm zu zeigen, dass er nicht einfach rücksichtslos im Leben all jener herumtrampeln konnte, die schwächer waren als er. Sie war nicht länger bereit, ein schweigendes, gesichtsloses Opfer zu sein!
Und so setzte sie sich auf.
Ihr Sargdeckel fiel mit einem raschelnden Geräusch zu Boden. Sylvester Unwin fuhr ziemlich erschrocken herum. In dem dämmrigen Licht gab Grace mit dem weißen Musselintuch um den Kopf eine eindrucksvolle Erscheinung ab: Ein paar Nebelschwaden waren in die Halle gedrungen und hatten sich günstigerweise um sie herum zu einem Nebelschleier gesammelt, in dem sie geradezu unheimlich, furchteinflößend und jenseitig wirkte.
Voller Zorn, und doch ganz klar im Geiste und in vollem Bewusstsein dessen, was sie tat, zeigte sie mit ausgestrecktem Finger auf ihren Gegner und rief: »Mein ist die Rache, sagt der Herr!«
Sylvester Unwin schrie vor Entsetzen auf, fasste sich mit der Hand ans Herz und sank zu Boden.
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Kapitel 28
»
Tot?
«, fragte James Solent. »Sylvester Unwin ist tot? Ich verstehe nicht. Wann ist er gestorben? Und wie?« Wegen des Nebels war James eine ganze Weile später als verabredet an ihrem üblichen Treffpunkt erschienen. Beinahe hatte er schon beschlossen, gar nicht hinzugehen, da er sich sicher war, dass Grace sich an einem solchen Abend nicht aus dem Haus wagen würde. Gegen acht Uhr war jedoch eine leichte Brise aufgezogen, die ganz allmählich den Nebel vertrieb, und um neun, als er den Treffpunkt eben verlassenwollte, war die Luft beinahe wieder klar. Plötzlich kam Grace, außer Atem und weinend, auf ihn zugerannt.
»Er ist tot, weil ich ihn umgebracht habe!«, sagte Grace schluchzend. »Ich wollte es nicht, aber ich hab’s getan.«
»Du meinst … Du hast ihn erstochen oder so was?«, fragte James entsetzt.
»Nein.« Sie versuchte, ihr Schluchzen zu ersticken. »Nein, das nicht.«
»Was denn dann?«
»Ich … ich war in der Sarghalle.«
James schaute sie neugierig an. »Was ist das?«
»Das ist eine Lagerhalle am Bahnhof Waterloo, wo die Särge gesammelt werden, bevor sie mit dem Zug nach Brookwood gefahren werden.« James schaute noch immer verständnislos, und so fuhr sie fort: »Er hat heute Nachmittag die gefälschte Adoptionsurkunde zu den Unwins gebracht, und ich habe sie entwendet und in einem Sarg versteckt … «
Auf James’ Gesicht spiegelte sich vollkommene Verwirrung.
»Dann haben sie danach gesucht und gemerkt, dass die Urkunde in einem der Särge sein muss, die aber inzwischen schon am Bahnhof in Waterloo waren. Also ist Sylvester Unwin losgefahren, um sie sich von dort zurückzuholen, und ich habe mich ebenfalls aus dem Haus geschlichen und war vor ihm dort. Ich hatte mich in einem leeren Sarg versteckt, und als er hereinkam, habe ich mich aufgesetzt, und er hat michgesehen und … und ich glaube, er ist so erschrocken, dass er gestorben ist.«
Während sie sprach, beobachtete sie nervös James’ Miene. Wie würde er reagieren? Würde er ihr sagen, dass sie sich der Polizei stellen müsse? Oder würde er, als Angehöriger des Rechtsstandes, sogar darauf bestehen, sie selbst dort hinzubringen? Und dann würde sie womöglich für immer eingesperrt und würde Lily nie wieder sehen!
»Du hast dich vor ihm versteckt – aber warum hast du dich dann in dem Sarg aufgesetzt?«, fragte James, der immer noch darum rang, das Ganze zu einem Bild zusammenzufügen.
Grace schluckte. Ihr Mund war ganz trocken. »Ich hasste ihn so sehr, dass ich ihm Angst einjagen wollte.« Dann verbesserte sie sich noch einmal: »Nein, was ich eigentlich wollte, war, ihn umzubringen. Aber ich dachte nicht, dass er gleich sterben würde. Und … und nun ist er tot.«
»Aber warum hasst du ihn denn so sehr?« James sah immer noch verwirrt aus. »Wegen des Erbes? Weil er es deiner Familie stehlen will?«
Grace schüttelte den Kopf. »Nein. Da ist noch etwas anderes. Was er mir gestohlen hat und was noch … noch viel kostbarer ist als Geld. Und das hat er mir
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