Geheimprojekt Styx
wer ist denn da?“, fragte eine weibliche Stimme und Sanchez drehte den Kopf leicht zur Seite, um ihre Mutter, die gerade auf die Veranda an der Vorderseite trat, ansehen zu können. Die Blicke beider Frauen trafen sich und Maria Sanchez stutzte kurz.
„Oh“, entfuhr es ihr. Sie kam die Veranda herunter und musterte ihre Tochter von Kopf bis Fuß. Dann schloss sie sie in die Arme, drückte sie fest und ließ sie erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder los.
„Oh, Nadia“, flüsterte Maria Sanchez und versuchte erfolglos zu verbergen, dass sie den Tränen nah war. Die Stimme war brüchig und bebte. „Es ist...“ Der Rest ging in einem schwachen Schluchzen unter. Sanchez drückte ihre Mutter liebevoll an sich und sah dann zu ihrem Vater hinüber, der missmutig die beiden Frauen beobachtete.
„Du musst uns eine ganze Menge erzählen, Nadia“, sagte ihre Mutter dann schließlich und der Blick, den sie ihrem Mann zuwarf, sprach Bände.
Die beiden sind sich nicht einig, dachte Sanchez, die diese Auffassungsgabe von Hendricks übernommen hatte, dem auch praktisch nie etwas entging. Sie erinnerte sich daran, wie er einmal registriert hatte, dass sein Gegenspieler bei einer Partie Poker sein Hemd gewechselt hatte – obwohl es exakt die gleiche Marke und exakt das gleiche Fabrikat in exakt gleicher Farbe gewesen waren. Sanchez und Hendricks waren damals erst ein Jahr zusammen gewesen und sie war in der Welt des Geldes und der internationalen Freunde noch recht unbedarft gewesen. Doch zu sehen, wie Hendricks mit Chips im Wert von rund fünfzehn Millionen jongliert hatte, war eindrucksvoll gewesen. Genauso wie seine Auffassungsgabe.
„Ich glaube kaum, Maria“, brummte John Sanchez missmutig.
„John!“, fuhr Maria ihn an. „Schweig, wir haben über das schon oft genug gesprochen. Und jetzt ist Nadia schon einmal hier.“
Ihr Vater schwieg, bedeutete Nadia aber, ins Haus zu gehen. Ihre Mutter begleitete sie und kurz darauf saßen die beiden Frauen im Wohnzimmer, jede in einem Sessel aus Korb und Leder, und John Sanchez erschien wenig später, umgezogen und mit gewaschenen Händen.
Unsicher, wie sie beginnen sollte, entschied Sanchez, ihren Eltern einfach zu erzählen, was sie aktuell beschäftigte. Die geplante Heirat mit Hendricks, der Umzug aus Südafrika auf die Bahamas, ihre neue Aufgabe innerhalb der Firma und schließlich, dass sie nun auch einmal die raue Welt der operativen Einsätze erlebt hatte.
„Bevor ihr fragt, ja, ich bin immer noch mit Michael Hendricks aus Südafrika zusammen. Und wir planen zu heiraten.“
Das schlug, wie Sanchez erwartet hatte, wie eine Bombe ein. John Sanchez schnappte nach Luft und vergrub das Gesicht in den Händen, ihre Mutter Maria fing sich nach wenigen Sekunden des offenen Mundes wieder und begann zu strahlen.
„Wir werden also Schwiegereltern?“, fragte sie und ein gewisser Stolz schwang in ihrer Stimme mit.
„Sieht ganz danach aus, ja, Mum.“ Sanchez lächelte ihren Vater an. „Du scheinst wenig davon begeistert zu sein.“
„Du weißt genau, was ich von diesem Typen halte.“
Und obwohl Sanchez bereits seit fast zehn Jahren wusste, dass ihr Vater Hendricks verabscheute, einfach weil er aus Südafrika kam und für eine Sicherheitsfirma arbeitete, verletzte seine Direktheit sie. Doch sie schaffte es, ruhig und konzentriert zu bleiben.
„Dieser Typ, wie du ihn nennst, ist der wunderbarste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Er ist klug, sieht klasse aus, hat Stil und Charisma, ist aufmerksam und auch noch vermögend. Mike ist das, was ich als Traummann bezeichnen würde.“
„Vermutlich liegt das nur am Geld“, brummte John Sanchez halblaut und brachte damit das Fass zum Überlaufen. Sanchez war sich sicher, wenn Hendricks hier gewesen wäre, hätte er vermutlich einen leichten Wutanfall bekommen und es wäre zu einem ausgewachsenen Streit gekommen.
Sie griff in ihre Handtasche, zog ihre, noch in Südafrika gedruckte, Visitenkarte hervor und warf sie ihrem Vater kommentarlos auf den flachen Couchtisch. „Meinst du“, begann sie ruhig mit dem Anflug einer leichten Süffisanz, „dass Mike mich zur zweiten Firmenchefin ernennen würde, wenn ich bloß sein Zeitvertreib wäre? Weil ich so gut aussehe? Ich glaube kaum.“ Dieses Argument war nahezu unmöglich zu widerlegen, das wusste sie. Und sie beschloss, ohne Unterbrechung in die verbale Gegenoffensive zu gehen. „Davon abgesehen, haben Mike, aber auch seine Firma, Hunderte Menschen vor dem
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