Geheimprojekt Styx
Rollbahn wieder aus dem Holpern heraus. Prompt krachten die ersten Schüsse gegen die gepanzerte Frontscheibe. Hendricks beschleunigte, ohne sich von den Schüssen beeindrucken zu lassen, immer weiter und raste auf die vermutete Stellung des Schützen zu. Dann schließlich ertönte ein weiterer Schuss Borattos und gleich darauf vibrierte das Smartphone.
„Ja!“, rief Hendricks, mit einer Hand am Lenkrad.
„Ziel ausgeschaltet“, verkündete Boratto kühl. Sofort trat Hendricks auf die Bremse und beschrieb einen großen Bogen, um Boratto abholen zu können.
„Mike...“ Sanchez' Stimme klang seltsam dünn.
„Ja?“
Sie wies auf ein Loch in der Frontscheibe und anschließend auf ein Einschussloch in der Polsterung der Rückbank. Das Loch in der Frontscheibe war gerade einmal zehn Zentimeter von Hendricks' Gesicht entfernt.
Er schluckte.
„Das war zu knapp“, sagte Sanchez und atmete einfach tief ein und aus. Sie war erstaunlich ruhig, dafür, dass man noch vor fünf Minuten auf sie geschossen und sie knapp dem Tode entronnen war. Hendricks dachte, dass sie inzwischen etwas abgebrühter war, da sie eine grobe Vorstellung von dem bekommen hatte, was er die vergangenen Jahre jeden Tag getan hatte.
„Offenbar war das Panzerglas doch nicht so gut, wie ich dachte.“
Er nahm den Fuß vom Gas, schaltete einen Gang hinunter und trat dann sanft auf die Bremse, um etwas langsamer zu Boratto zu fahren, der inzwischen mit seinem Scharfschützengewehr die Rollbahn betreten hatte. Mit seiner Sonnenbrille auf der Nase, wirkte er mehr wie ein lässiger Held aus einem Hollywood-Streifen und nicht wie jemand, der Jahre in den Favelas Dealer gejagt hatte.
Als Hendricks den Mercedes stoppte, öffnete Boratto die Kofferraumklappe und legte das Gewehr hinein, dann schwang er sich auf die Rückbank. Das Einschussloch entging ihm dabei keineswegs.
„Heilige Scheiße!“, entfuhr es ihm.
„Krieg' dich wieder ein, Art“, brummte Hendricks, der den Umstand, nur knapp dem Tode entgangen zu sein, schon wieder verdrängt hatte. Dafür hatte man zu oft versucht ihn umzubringen.
„Kann mir einer mal verraten, was das eben war?“, verlangte Sanchez zu wissen und klang dabei nicht gerade glücklich oder kompromissbereit.
„Schätze, Wallcroft ist über etwas gestolpert, über das er nicht hätte stolpern dürfen“, erklärte Boratto trocken.
„Das war ein verdammter Scharfschütze!“
„Und ein fähiger dazu“, ergänzte Hendricks und brachte den Wagen vor dem Eingang des Gebäudes zum Stehen. Er ließ den Kopf etwas hängen, fing sich dann aber wieder.
Wallcroft war wegen etwas gestorben, zu dem er ihn gedrängt hatte. Eine, vermeintlich, banale Information hatte den Mann, der im Irak gekämpft hatte, das Leben gekostet.
Es ist meine Schuld, dachte Hendricks, was habe ich da bloß losgetreten? Zwei Menschen tot, und ich habe noch nicht mal den Hauch eines Hinweises, wer damit zu tun haben könnte. Oder warum.
Er brauchte Antworten, und zwar schnell.
„Wir stellen Wallcrofts Zimmer noch einmal auf den Kopf. Wenn er geahnt hat, in welches Wespennest er da gestochen hat, könnte er einen Hinweis versteckt haben“, ordnete Hendricks an. „Art, filze du den Scharfschützen. Vielleicht lässt seine Ausrüstung Rückschlüsse auf seine Herkunft zu.“
„Schon dabei.“ Der Brasilianer stieg aus, öffnete noch die zweite Gewehrtasche und entnahm dieser eine modifizierte P90 Maschinenpistole, dann sprintete er in Richtung Rollfeld davon und ließ Sanchez und Hendricks alleine zurück.
„Nad... es war nicht geplant, dass du diese Dinge mit erleben musst.“
„Nein, geplant nicht, aber ich wollte dabei sein.“ Sie legte Hendricks ihre Hand auf die Schulter, fest, aber dennoch zärtlich. „Mach' dir keine Vorwürfe – und auch keine Sorgen. Ich werde damit schon fertig.“
Hendricks nickte nur. Sanchez war schon immer eine willensstarke Frau gewesen, er hatte sie nie anders kennen gelernt. Damals, auf den Bahamas war es nicht anders gewesen, wo sie ein gewagtes Spiel mit einem der größten und gefährlichsten örtlichen Kredithaie gespielt hatte, was beinahe schiefgegangen wäre, wenn Hendricks nicht an diesem verhängnisvollen Abend in ihrer Bar aufgetaucht wäre. Nadia Sanchez war keine Frau, die sich durch Geld, schnelle Autos und eine kostenlose Schönheitsoperation ködern ließ. Und Hendricks war stolz, eine solche Frau an seiner Seite zu wissen, selbst wenn sich hartnäckig die Gerüchte gehalten hatten,
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