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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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die Stadt gegangen und habe über die Art und Weise nachgedacht, auf welche er sich umbringen werde, denn daß ich mich umbringen werde, war mir klar, sagt Oehler, vollkommen klar, nur nicht, wie und auch nicht genau wann , aber daß es bald sein werde, weil es bald sein muß, war mir klar gewesen. Immer wieder sei er in die Innere Stadt, sagt Oehler, und an den Innenstadthaustüren stehengeblieben und habe an diesen Innenstadthaustüren einen bestimmten, ihm aus der Kindheit und Jugend vertrauten, geliebten oder gefürchteten, aber vertrauten Namen, gesucht, aber keinen einzigen dieser Namen mehr gefunden. Wohin sind alle diese Menschen, die mit diesen Namen zusammenhängen, die mir vertraut sind und die ich an keiner dieser Türenmehr finden kann, hingekommen? habe er sich gefragt, sagt Oehler. Wochenlang und monatelang habe er sich diese Frage gestellt. Wir stellen oft monatelang immer die gleiche Frage, sagt er, stellen sie uns oder anderen, aber vor allem stellen wir sie uns und wenn wir uns diese Frage nicht beantworten haben können, auch in der längsten Zeit nicht, auch in Jahren nicht, weil uns die Beantwortung gleich welcher Frage nicht möglich ist, sagt Oehler, stellen wir eine andere, eine neue Frage, vielleicht aber auch wieder eine Frage, die wir uns schon einmal gestellt haben und so das ganze Leben lang, bis der Kopf nicht mehr kann. Wohin sind alle diese Menschen, Freunde, Verwandte, Feinde, hingekommen? habe er sich gefragt und immer weiter und weiter nach Namen gesucht, auch in der Nacht habe ihm dieses Fragen nach diesen Namen keine Ruhe gelassen. Waren es nicht Hunderte und Tausende Namen? habe er sich gefragt. Wo sind alle diese Menschen, mit welchen ich damals, vor dreißig Jahren, Kontakt gehabt habe? fragte er sich. Wenn ich nur einen einzigen dieser Menschen treffen würde. Wohin? fragte er sich ununterbrochen und warum? Plötzlich sei ihm klar gewesen, daß es alle diese Leute, die er suchte, nicht mehr gibt. Es gibt alle diese Leute nicht mehr, habe er plötzlich gedacht, es hat keinen Sinn, diese Leute zu suchen, weil es sie nicht mehr gibt, habe er sich plötzlich gesagt und er hat das Zimmer über dem Obenaus aufgegeben und ist in die Berge gegangen, auf das Land, ich bin in die Berge gegangen, sagt Oehler, aber ich habe es auch in den Bergen nicht ausgehalten und bin wieder in die Stadt zurück. Mit Karrer bin ich sehr oft hier gestanden unter dem Obenaus, sagt Oehler, und habe ihm von allen diesen fürchterlichen Zusammenhängen gesprochen. Dann sind wir, Oehler und ich, auf der Friedensbrücke. Es war bei dem Vorhaben Karrers, mir auf der Friedensbrücke einen wittgensteinschen Satz zu erklären, geblieben, aus Erschöpfung erwähnte Karrer nicht einmal mehr den Namen Wittgenstein auf der Friedensbrücke, ich selbst war zur Erwähnungdes Namens Ferdinand Ebner nicht mehr fähig gewesen, so Oehler. So haben wir uns in letzter Zeit sehr oft in einem Erschöpfungszustand befunden, in welchem wir aufeinmal nicht mehr, was wir zu erklären vorgehabt hatten, erklären haben können, die Friedensbrücke benützten wir zum Abschwächen unserer Erschöpfungszustände, so Oehler. Gegenseitig hatten wir uns zwei Sätze erklären wollen, sagt Oehler, ich Karrer einen ihm vollkommen unklaren Satz von Wittgenstein, er, Karrer, mir einen mir vollkommen unklaren Satz von Ferdinand Ebner. Aber aus Erschöpfung waren wir auf der Friedensbrücke aufeinmal gar nicht mehr fähig gewesen, die Namen Wittgenstein und Ferdinand Ebner auszusprechen, weil wir unser Gehen und unser Denken, das eine aus dem andern, sagte Oehler, zu einer unglaublichen, beinahe nicht mehr aushaltbaren Nervenanspannung gemacht haben. Daß diese Praxis, Gehen und Denken zu der ungeheuersten Nervenanspannung zu machen, nicht längere Zeit ohne Schädigung fortzusetzen ist, hatten wir gedacht und tatsächlich haben wir ja auch diese Praxis nicht fortsetzen können, sagt Oehler, Karrer hat daraus die Konsequenzen ziehen müssen, ich selbst bin auch noch durch Karrers, wie ich sagen muß, vollkommenen Nervenzusammenbruch, denn als solchen kann ich Karrers Verrücktheit ohne weiteres bezeichnen, als einen tödlichen Nervenzusammenbruch des karrerschen Gehirngefüges, in der Weise geschwächt worden, daß ich jetzt auf der Friedensbrücke nicht einmal mehr das Wort Wittgenstein aussprechen kann, geschweige denn kann ich etwas über Wittgenstein oder etwas mit Wittgenstein Zusammenhängendes sagen, wie ich überhaupt nichts mehr sagen

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