Gehetzte Uhrmacher
hörte?
Aufgeben?
Viele Täter geben auf.
Aber manche nicht. Sie geraten entweder in Panik oder klammern sich an die verrückte Idee, sie könnten es mit einem Dutzend bewaffneter Einsatzkräfte aufnehmen. Rhyme hatte Sachs über Duncans Rachefeldzug in Kenntnis gesetzt; sie glaubte nicht, dass jemand, der so besessen war, sich ohne Weiteres ergeben würde.
Sachs wurde einem Team am Seiteneingang zugeteilt. Baker und Pulaski blieben bei Haumann an der Leitstelle.
In ihrem Headset hörte Amelia den Chef der ESU sagen: »Ladungen sind scharf... Alle Teams, Statusmeldung. Kommen.«
Die Teams A, B und C meldeten ihre Bereitschaft.
»Zündung auf mein Kommando«, ertönte Haumanns raue Stimme. »Fünf, vier, drei, zwei, eins, los!«
Es knallte dreimal laut, und die Türen flogen gleichzeitig auf; die Fenster im Umkreis erzitterten, und bei diversen Autos wurde der Alarm ausgelöst. Die Beamten drangen ins Innere vor.
Wie sich herausstellte, stießen sie weder auf Fallen noch auf sonstige Hindernisse. Eine Durchsuchung der Räumlichkeiten ergab jedoch, dass der Uhrmacher entweder zu den größten Glückspilzen auf Erden zählte oder ihr Vorgehen erneut vorausgesehen hatte. Er war nicht da.
»Ron, sehen Sie sich das mal an.«
Amelia Sachs stand an der Tür eines kleinen Lagerraumes im ersten Stock des Anbaus der Kirche.
»Gruselig«, sagte der junge Beamte.
Das passte.
Vor ihnen an der steinernen Wand standen mehrere der schwarzen Uhren. Die Mondgesichter mit ihren rätselhaften Mienen starrten den beiden entgegen, nicht richtig lächelnd, eher gehässig grinsend, als wüssten sie genau, wie viel Lebenszeit dem Betrachter noch blieb, und würden diese mit Freuden bis zur letzten Sekunde herunterzählen.
Alle tickten. Sachs fand das Geräusch ziemlich zermürbend.
Es waren fünf. Was bedeutete, dass er eine bei sich hatte.
Weil er sie verbrennen wollte...
Pulaski zog den Reißverschluss seines Tyvek-Overalls zu und schnallte sich den Waffengürtel wieder um. Sachs sagte, dass sie sich die Räume hier oben vornehmen würde, wo die Männer laut Vincents Auskunft gewohnt hatten. Der Neuling sollte das Erdgeschoss der Kirche untersuchen.
Er nickte und schaute verunsichert in die dunklen Gänge. Nach seiner schlimmen Kopfverletzung im Vorjahr hatte man ihm eigentlich einen Schreibtischjob zuweisen wollen. Ron hatte sich bei der Reha nur umso mehr angestrengt und einfach nicht zugelassen, dass seine Vorgesetzten ihn aus dem Verkehr zogen. Amelia wusste, dass die Vergangenheit ihn bisweilen einholte. Sie konnte ihm ansehen, dass er sich jedes Mal wieder fragte, ob er einer Aufgabe gewachsen sein würde. Und obwohl er sich stets den Anforderungen stellte, gab es manche Cops, die mit ihm deswegen nicht zusammengearbeitet hätten. Sachs hingegen fand es bewundernswert, wenn jemand jeden Tag aufs Neue seinen Dämonen gegenübertrat. Das zeugte von Rückgrat.
Sie würde ihn jederzeit als ihren Partner akzeptieren.
Dann wurde ihr bewusst, was sie gedacht hatte, und sie relativierte es: Falls ich bei der Polizei bliebe.
Pulaski wischte sich die Handflächen ab, die trotz der Kälte schwitzten, und streifte sich Latexhandschuhe über.
Dann teilten sie die Ausrüstungsgegenstände unter sich auf.
»He, ich hab gehört, Sie wurden in dem Parkhaus angegriffen, als Sie den Explorer untersucht haben«, sagte Sachs.
»Ja.«
»Ich hasse es, wenn so etwas passiert.«
Er lachte auf, weil er verstand, was sie ihm mitteilen wollte: Es machte nichts, dass er nervös war. Er ging zur Tür.
»He, Ron.«
Er blieb stehen.
»Rhyme hat übrigens gesagt, Sie haben sehr gute Arbeit geleistet.«
»Wirklich?«
Nicht mit so vielen Worten. Doch so war Rhyme nun mal. »Aber
ja. Und jetzt gehen Sie und krempeln Sie diese Kirche um. Ich will den Scheißkerl festnageln.«
Er grinste. »Alles klar.«
»Das ist kein Weihnachtsgeschenk, sondern ein Auftrag«, sagte Sachs.
Und scheuchte ihn mit einer Handbewegung nach unten.
Sie entdeckte nichts, das auf die Identität des nächsten Opfers hingedeutet hätte, aber die Kirche wies immerhin eine beträchtliche Anzahl von Spuren auf.
In Vincent Reynolds’ Zimmer nahm Sachs ein halbes Dutzend Junkfood- und Limonadenproben, und auch auf seine dunkleren Gelüste fanden sich Hinweise: Kondome, Isolierband und Stofffetzen, die vermutlich als Knebel dienen sollten. Der Raum war ein einziges Durcheinander und roch nach ungewaschener Kleidung.
In Duncans Zimmer stellte Sachs horologische
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