Gehetzte Uhrmacher
fündig geworden.«
Sellittos Telefon klingelte. Er nahm das Gespräch an und redete einige Minuten lang. Dabei richtete sein kalter Blick sich immer wieder auf den Vergewaltiger. Dann unterbrach er die Verbindung.
»Das war der Ehemann Ihrer Schwester«, sagte er zu Vincent.
Der Mann runzelte die Stirn. »Wer?«
»Der Ehemann Ihrer Schwester.«
Vincent schüttelte den Kopf. »Nein, das muss ein Irrtum sein. Meine Schwester ist nicht verheiratet.«
»Doch, ist sie.«
Der Vergewaltiger bekam große Augen. »Sally Anne ist verheiratet?«
Sellitto musterte ihn angewidert und wandte sich dann an Rhyme und Dance. »Sie war zu aufgebracht, um zurückzurufen, also hat ihr Mann das übernommen. Vor dreizehn Jahren hat Vincent sie für eine Woche im Keller des Hauses eingesperrt, während die Mutter und der Stiefvater auf Hochzeitsreise gewesen sind. Seine eigene Schwester... Er hat sie gefesselt und mehrfach sexuell missbraucht. Er war fünfzehn, sie war dreizehn. Er kam in den Jugendknast und wurde nach einer Therapie entlassen. Die Akten wurden versiegelt. Deshalb existiert für seine Fingerabdrücke kein IAFIS-Eintrag.«
»Verheiratet«, flüsterte Vincent mit aschfahlem Gesicht.
»Die Schwester ist seitdem wegen Depressionen und Essstörungen in Behandlung. Er wurde ein Dutzend Mal dabei erwischt, wie er ihr nachgestellt hat, also hat sie gegen ihn ein Unterlassungsurteil erwirkt. Seit drei Jahren hat es keinen Kontakt mehr zwischen den beiden gegeben, abgesehen von den Briefen, die er ihr schreibt.«
»Bedroht er sie?«, fragte Dance.
»Nein«, sagte Sellitto leise. »Es sind Liebesbriefe. Er wollte, dass sie herzieht und mit ihm zusammenlebt.«
»O Mann«, murmelte der sonst so unerschütterliche Mel Cooper.
»Manchmal schreibt er Kochrezepte auf den Rand der Briefe. Manchmal zeichnet er pornografische Cartoons. Der Schwager sagt, falls sie irgendwie dazu beitragen können, dass er für den Rest des Lebens hinter Gittern bleibt, werden sie es tun.« Sellitto sah die beiden Streifenbeamten an, die hinter Vincent standen. »Schaffen Sie ihn von hier weg.«
Die Polizisten halfen dem dicken Mann auf und führten ihn zur Tür. Vincent Reynolds war so erschüttert, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. »Wie konnte Sally Anne nur heiraten? Wie konnte sie mir so etwas antun? Wir wollten doch auf ewig zusammenbleiben... Wie konnte sie nur?«
... Achtundzwanzig
Wie der Angriff auf eine mittelalterliche Burg. Sachs, Baker und Pulaski trafen in dem unscheinbaren Bezirk Chelsea ein und gesellten sich zu Bo Haumann. Die Kirche lag gleich um die Ecke. Die ESU-Beamten hatten sich leise und ohne viel Aufhebens rund um das
Gelände platziert.
Die Kirche verfügte über gerade so viele Türen, wie die Brandschutzbestimmungen vorschrieben, und die meisten Fenster waren vergittert. Das würde natürlich einerseits Gerald Duncan die Flucht merklich erschweren, aber es bedeutete auch, dass der ESU kaum Optionen für den Zugriff blieben. Damit stieg die Wahrscheinlichkeit, dass der Killer die Eingänge durch Fallen gesichert hatte oder die Beamten mit schussbereiter Waffe erwarten würde. Die sechzig Zentimeter dicken Steinmauern erhöhten das Risiko zusätzlich, denn die Wärmebildgeräte und Richtmikrofone der Überwachungsspezialisten wurden dadurch größtenteils nutzlos; es ließ sich einfach nicht voraussehen, ob die Zielperson sich in dem Gebäude aufhielt.
»Wie lautet der Plan?«, fragte Amelia Sachs, die in der Gasse hinter der Kirche direkt neben Haumann stand. Dennis Baker behielt eine Hand in der Nähe der Pistole und sah sich hektisch auf der Straße und dem Gehweg um, was Sachs verriet, dass er schon lange nicht mehr – oder sogar noch nie – an einem taktischen Zugriff teilgenommen hatte. Sie war immer noch sauer wegen seiner Nachforschungen; es gefiel ihr, ihn schwitzen zu sehen.
Ron Pulaskis Hand lag ebenfalls auf dem Griff seiner Glock. Auch er wippte nervös auf und ab und musterte das imposante, rußgeschwärzte Gebäude.
Haumann erklärte, dass die Teams auf klassische Weise zeitgleich durch sämtliche Türen eindringen würden, nachdem sie sie aufgesprengt hatten. Es blieb keine andere Wahl – die Türen waren zu dick für gewöhnliche Rammen -, aber die Explosionen würden
nicht zu überhören sein und Duncan die Gelegenheit geben, zumindest einige Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen. Was würde er tun, wenn er den lauten Knall und die Schritte der vorstürmenden Beamten
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