Gehetzte Uhrmacher
jemand? Hallo?«
Nur Stille.
Vermutlich nichts, dachte sie. Und betrat den Korridor, der zum Hintereingang ihres Büros führte. Sarah schloss auf und ging den langen Firmenflur hinunter.
Sie stellte Kaffee und Gebäckstücke auf den Tisch, zog ihren Mantel aus und setzte sich. Ihr Blick fiel auf den Bildschirm ihres Computers.
Merkwürdig, dachte sie. Auf dem Monitor war ein Fenster zu sehen, das mit »Eigenschaften von Datum und Uhrzeit« betitelt war.
Dieser kleine Bestandteil des Betriebssystems Windows XP wurde benutzt, wenn man das Datum, die Uhrzeit und die Zeitzone des Computers einstellen wollte. Auf dem kleinen Kalender des Fensters war der heutige Tag hervorgehoben, und rechts davon waren
sowohl eine Analoguhr mit Zeigern als auch eine Digitaluhr abgebildet, auf denen die Zeit in Sekundenschritten weiterlief.
Als Sarah zu Starbucks aufgebrochen war, hatte dieses Fenster sich noch nicht auf dem Bildschirm befunden.
Hat es sich von selbst geöffnet?, grübelte sie. Warum? Vielleicht hatte jemand den Computer während ihrer Abwesenheit benutzt, wenngleich sie keine Ahnung hatte, wer das gewesen sein könnte und was seine Absicht gewesen wäre.
Egal. Sarah schloss das Fenster und rollte mit ihrem Stuhl weiter vor. Dabei sah sie nach unten. Was war denn das?
Unter ihrem Schreibtisch stand ein Feuerlöscher. Der war ebenfalls neu. Die Firma dachte sich andauernd so seltsame Sachen aus. Man baute neue Lampen ein, verteilte Evakuierungspläne, stellte das Mobiliar um – aus keinem ersichtlichen Grund.
Und nun also Feuerlöscher.
Vermutlich noch etwas, für das wir uns bei den Terroristen bedanken dürfen.
Sie warf einen kurzen Blick auf das Foto ihres Sohnes, freute sich über den Anblick seines Lächelns, stellte ihre Handtasche unter den Schreibtisch und packte ihr Gebäckstück aus.
Lieutenant Dennis Baker ging langsam die menschenleere Straße hinunter. Er befand sich südlich von Hell’s Kitchen, im Westteil eines Gewerbegebiets.
Die Beamten waren seinem Vorschlag gefolgt und hatten die in der Kirche gefundenen Anhaltspunkte unter sich aufgeteilt, um die Jagd nach dem Uhrmacher fortzusetzen. Baker hatte Sachs und Haumann erzählt, er würde sich an ein Lagerhaus erinnern, das derzeit in dem gleichen grellgrünen Farbton gestrichen werde, wie er an den Schuhen aus dem Zimmer des Täters klebte. Und so war Baker hierher gefahren.
Das wuchtige Gebäude erstreckte sich entlang der Straße, dunkel, verlassen, trostlos – trotz des hellen Sonnenscheins. Die unteren zwei Meter der schmutzigen Backsteinmauern waren mit Graffiti übersät, und die Hälfte der Fenster war zerbrochen oder anscheinend sogar von Schüssen durchlöchert worden. Auf dem Dach stand ein ausgeblichenes Schild mit einer Aufschrift in altmodischen Buchstaben: Preston – Umzüge und Einlagerung .
Das vordere Doppeltor, das man in dem besagten Grün gestrichen hatte, war verriegelt und zusätzlich mit einer Kette gesichert, doch Baker fand halb versteckt hinter einem Müllcontainer einen Seiteneingang. Die Tür war nicht abgeschlossen. Der Lieutenant sah sich nach allen Seiten um, zog die Tür auf und betrat das Gebäude. Drinnen herrschte trübes Licht, das durch die hohen Fenster hereinfiel. Es roch nach feuchter Pappe, Schimmel und Heizöl. Baker zog seine Waffe. Sie fühlte sich ungewohnt an. Er hatte im Einsatz noch keinen einzigen Schuss abgegeben.
Leise folgte Baker dem Gang bis zur Haupthalle der ehemaligen Firma, einem großen offenen Raum, in dem überall Pfützen standen und Müll lag. Und jede Menge Kondome, registrierte er angewidert. Dabei war das hier vermutlich der unromantischste Ort, den man sich vorstellen konnte.
Etwas an der gegenüberliegenden Wand blitzte auf. Dort reihten sich die einstigen Büros. Bakers Augen gewöhnten sich immer mehr an das Halbdunkel, und als er näher kam, entdeckte er die eingeschaltete Tischlampe in einem der kleinen Räume. Und er konnte noch etwas sehen.
Eine der schwarzen, mondgesichtigen Uhren – die Visitenkarten des Uhrmachers.
Baker beschleunigte seine Schritte – und trat auf einen großen Fleck Schmierfett, den er nicht bemerkt hatte. Er stürzte, fiel auf die Seite und ächzte auf. Die Pistole entglitt ihm und rutschte über den dreckigen Betonboden. Er verzog vor Schmerz das Gesicht.
In diesem Moment kam hinter ihm ein Mann aus einem der Seitengänge zum Vorschein und eilte herbei.
Baker hob den Kopf und sah genau in die Augen von Gerald Duncan, dem
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