Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
Vom Netzwerk:
Jungen mit dem lockigen Haar und den grünen Augen seiner Mutter auch weiterhin besonders gut Acht geben musste. Er war immer noch bisweilen mürrisch, verschlossen und zornig. Manches davon war nicht ungewöhnlich für einen Heranwachsenden, manches andere aber hing damit zusammen, dass er in jungen Jahren seinen Vater verloren hatte. Das sei ein ganz typisches Verhalten und kein Grund zur Sorge, hatte ihre Therapeutin gesagt. Aber Dance spürte, dass es noch ein wenig dauern könnte, bis er für das New Yorker Chaos bereit wäre, und sie würde ihn niemals drängen. Wenn sie nach Hause käme, würde sie ihn fragen, ob er Lust auf einen Ausflug nach New York hätte. Dance konnte nicht verstehen, dass es Eltern gab, die zu glauben schienen, sie würden nur mit Hilfe von Zauberformeln oder Psychotherapie herausfinden, was ihre Sprösslinge wollten. Man musste die Kinder einfach nur fragen und ihnen aufmerksam zuhören.
    Ja, beschloss Dance. Falls er einverstanden war, würde sie mit den beiden nächstes Jahr vor Weihnachten hier Urlaub machen. Sie selbst war in Boston geboren und aufgewachsen, und an der Küste Kaliforniens vermisste sie vor allem die Jahreszeiten. Das Wetter dort war herrlich – aber zu Weihnachten sehnte sie sich nun mal nach der beißenden Kälte an Nase und Mund, nach den Schneestürmen und den glimmenden Scheiten im Kamin.
    Ein melodisches Zwitschern riss Dance aus ihrem Tagtraum. Ihre Kinder machten sich einen Spaß daraus, ihr ständig neue Klingeltöne auf das Mobiltelefon zu laden (allerdings hielten sie sich an die eiserne Regel, dass das Telefon eines Polizisten niemals stummgeschaltet werden durfte).

    Sie las im Display die Kennung des Anrufers.
    Hm. Interessant. Ja oder nein?
    Kathryn Dance folgte einer plötzlichen Eingebung und nahm das Gespräch an.

... Zehn

    Der stämmige Detective war nervös und berührte immer wieder seinen Bauch oder zupfte an seinem Kragen herum.
    Kathryn Dance achtete auf Lon Sellittos Körpersprache, während dieser den zivilen Crown Victoria – den gleichen Dienstwagen, den auch sie in Kalifornien fuhr – durch die Straßen von New York steuerte. Die Signallichter hinter dem Kühlergrill blinkten, aber die Sirene war ausgeschaltet.
    Sellitto hatte Dance im Taxi angerufen und sie erneut um Hilfe bei dem Fall gebeten. »Ich weiß, dass Sie einen Flug gebucht haben und nach Hause wollen, aber...«
    Er erklärte, sie hätten eventuell die Herkunft der Uhren ermittelt, die an den Tatorten zurückgelassen worden waren, und er wolle nun, dass Kathryn den potenziellen Verkäufer befrage. Es bestünde die – wenn auch geringe – Möglichkeit, dass es zwischen dem Mann und dem Uhrmacher irgendeine Verbindung gab, und sie würden gern Dances Meinung darüber hören.
    Sie hatte nur kurz überlegt und dann zugesagt. Der jähe Aufbruch aus Lincoln Rhymes Haus hatte ihr leidgetan; sie hasste es, einen Fall unerledigt zu lassen, sogar wenn es nicht ihr eigener war. Also hatte sie dem Taxifahrer Rhymes Adresse genannt, wo Lon Sellitto bereits auf sie wartete.
    Nun, im Auto des Detectives, wagte Dance eine Vermutung. »Es war Ihre Idee, mich anzurufen, nicht wahr?«
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte Sellitto.
    »Lincolns Idee war es bestimmt nicht. Er weiß nicht so recht, was er von mir halten soll.«
    Sein kurzes Zögern war Antwort genug. »Sie haben bei diesem Cobb gute Arbeit geleistet«, sagte Sellitto.
    Dance lächelte. »Ich weiß. Aber er ist sich trotzdem nicht sicher, was er von mir halten soll.«
    Wieder eine Pause. »Er mag eben seine Spuren.«

    »Jeder Mensch hat Schwächen.«
    Der Detective lachte. Er betätigte den Schalter der Sirene, und sie rasten über eine rote Ampel.
    Während er fuhr, behielt Dance ihn im Blick, achtete auf seine Hände und Augen, lauschte seiner Stimme. Ihre Einschätzung lautete: Er ist absolut entschlossen, den Uhrmacher zur Strecke zu bringen, und die anderen Fälle, die zweifellos auf seinem Schreibtisch liegen, spielen derzeit nicht die geringste Rolle. Am Vortag im Seminar war ihr aufgefallen, wie hartnäckig und schlau er war. Um eine Sachlage zu durchschauen oder eine Verhörtechnik zu verstehen, nahm er sich so viel Zeit wie nötig; falls jemand anders unterdessen die Geduld mit ihm verlor, war das nicht sein Problem.
    Sein Elan lässt ihn nervös wirken, aber ganz anders als Amelia Sachs, deren Anspannung sich teilweise durch Ansätze von Selbstzerstörung äußert. Er gibt sich gern brummig, doch im Grunde seines

Weitere Kostenlose Bücher