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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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Herzens ist er ein sehr zufriedener Mann.
    Dance analysierte die Leute automatisch. Eine Geste, ein Blick, eine beiläufige Bemerkung wurden für sie zu einem weiteren Teil jenes wunderbaren Puzzles namens Mensch. Normalerweise war sie in der Lage, bewusst auf diese Deutungen zu verzichten – es ist kein Vergnügen, mit Freunden bei einem Pinot Grigio oder einem Bier zusammenzusitzen und die anderen auf diese Weise zu interpretieren (und ihnen bereitet es noch viel weniger Vergnügen). Aber manchmal machten Kathryns Gedanken sich einfach selbstständig; diese Angewohnheit war nun mal ein Teil von ihr.
    Süchtig nach Menschen ...
    »Haben Sie Familie?«, fragte er.
    »Ja, zwei Kinder.«
    »Und was macht Ihr Mann?«
    »Ich bin Witwe.« Dance kannte sich von Berufs wegen mit Stimmlagen aus, und sie betonte diese Worte auf eine ganz bestimmte, knappe und ernste Weise, die ihm vermitteln würde: »Ich möchte nicht darüber reden.« Eine Frau hätte ihr nun vielleicht mitfühlend eine Hand auf den Arm gelegt; Sellitto tat, was die meisten seiner Geschlechtsgenossen getan hätten: Er murmelte verlegen, es tue ihm leid, und wechselte das Thema. Er fing an, von den Spuren und bisherigen Ermittlungen zu erzählen – die überwiegend zu
keinem Ergebnis geführt hatten. Er scherzte und gab sich zwanglos.
    Ach, Bill... weißt du was? Ich glaube, dieser Bursche hätte dir gefallen. Dance jedenfalls mochte ihn.
    Er kam auf den Laden zu sprechen, aus dem wahrscheinlich die Uhren stammten. »Wie ich schon sagte, wir glauben nicht, dass dieser Hallerstein der Täter ist. Aber er könnte in die Sache verwickelt sein. Die Situation wird womöglich ein wenig, Sie wissen schon, haarig.«
    »Ich bin nicht bewaffnet«, sagte Dance.
    Die Gesetze über das Tragen von Schusswaffen außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs sind sehr streng, und die meisten Polizisten dürfen ihre Dienstpistole nicht in einen anderen Bundesstaat mitnehmen. Es hätte ohnehin keinen großen Unterschied bedeutet; Dance hatte ihre Glock bislang nur auf dem Schießstand abgefeuert und hoffte, dass sich das bis zu ihrer Pensionierung auch nicht ändern würde.
    »Ich bleibe dicht in Ihrer Nähe«, versicherte Sellitto.
    Das Gebäude, in dem Hallerstein’s Timepieces untergebracht war, stand mitten in einem düsteren Häuserblock zwischen mehreren Großhandelsgeschäften und Warenlagern. Dance sah genauer hin. Die Fassade war schmutzig, und der Anstrich blätterte ab, doch die Stand- und Armbanduhren, die geschützt durch ein dickes Stahlgitter im Schaufenster feilgeboten wurden, waren makellos.
    Sie gingen zur Tür. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, Detective, stellen Sie uns beide vor und lassen mich dann das Gespräch übernehmen«, sagte Dance. »Ist das okay?«
    Manch ein Ermittler hätte ein Problem damit gehabt, bei einem seiner Fälle die Zügel aus der Hand zu geben. Kathryn war sich sicher, dass Sellitto nicht zu dieser Sorte Cop gehörte (er war selbstbewusst genug), aber sie musste die Frage stellen.
    »Sie sind hierbei der Boss«, sagte er. »Genau deswegen haben wir Sie ja um Ihre Hilfe gebeten.«
    »Manches von dem, was ich sage, wird Ihnen vielleicht ein wenig merkwürdig vorkommen, aber es gehört zum Plan. Also, falls ich den Mann für den Täter halte, werde ich mich vorbeugen und die Finger verschränken.« Diese Geste würde sie verwundbarer machen,
den Killer damit unterbewusst beruhigen und so die Wahrscheinlichkeit senken, dass er nach einer Waffe griff. »Falls ich glaube, dass er unschuldig ist, nehme ich meine Handtasche von der Schulter und stelle sie auf die Ladentheke.«
    »Alles klar.«
    »Fertig?«
    »Nach Ihnen.«
    Dance drückte einen Klingelknopf, und im Innern betätigte jemand den elektrischen Türöffner. Es war ein kleiner Laden, angefüllt mit allen denkbaren Arten von Uhren: hohen Standuhren, ähnlichen, aber kleineren Tischuhren, reich verzierten Skulpturen mit eingebauten Uhrwerken, eleganten, modernen Uhren und noch mindestens hundert anderen Varianten, dazu fünfzig oder sechzig klassische Armbanduhren.
    Sellitto und Dance gingen bis nach hinten, wo ein untersetzter, etwa sechzigjähriger Mann mit schütterem Haar hinter dem Tresen saß und sie argwöhnisch im Auge behielt. Vor ihm lag ein zerlegtes Uhrwerk, an dem er gerade arbeitete.
    »Guten Tag«, sagte Sellitto.
    Der Mann nickte. »Hallo.«
    »Ich bin Detective Sellitto von der Polizei, und das hier ist Agent Dance.« Er zückte seinen Ausweis. »Sie sind

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