Gehetzte Uhrmacher
erneut um und beugte sich vor. »Sie scheinen zu glauben, dass hinter Bens Tod mehr steckt als ein einfacher Selbstmord.«
»Wir sichern uns nur gern nach allen Seiten ab.« Pulaski wusste nicht genau, was er eigentlich damit meinte; die Worte kamen ihm wie von selbst über die Lippen. Er rief sich die Fragenliste ins Gedächtnis. Alle Punkte waren abgehakt. »Das wär’s fürs Erste, Sir. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Kessler trank aus. »Falls mir noch etwas einfällt, rufe ich Sie an. Haben Sie eine Karte?«
Pulaski gab sie ihm.
»Dieser weibliche Detective, mit dem ich gesprochen habe«, sagte der Geschäftsmann, »wie war doch gleich ihr Name?«
»Detective Sachs.«
»Genau. Falls ich Sie nicht erreichen kann, soll ich dann Detective Sachs anrufen? Arbeitet sie noch an dem Fall?«
»Ja, Sir.«
Pulaski nannte ihm die Nummern von Amelias Mobiltelefon und Rhymes Festnetzanschluss. Kessler notierte sie sich auf der Rückseite der Visitenkarte. Dann nickte er. »Ich sollte mich wieder an die Arbeit machen.«
Pulaski dankte ihm ein weiteres Mal, trank seinen Kaffee aus und ging. Er warf einen letzten Blick auf das größte der Pipeline-Fotos. Das war wirklich etwas Besonderes. Er hätte nichts dagegen,
eine kleinere Ausgabe davon bei sich zu Hause an die Wand zu hängen. Aber vermutlich gab es bei einer Firma wie Penn Energy keinen Andenkenladen wie in Disney World.
... Zwölf
Eine korpulente Frau betrat den Imbiss. Schwarzer Mantel, kurzes Haar, Jeans. So hatte sie sich beschrieben. Amelia Sachs winkte ihr aus einer der hinteren Sitznischen zu.
Dies war Gerte, die andere Kellnerin der St. James Tavern. Sie würde bald ihre Schicht antreten und hatte eingewilligt, sich vorher mit Sachs zu treffen.
Ein Schild an der Wand besagte, hier sei das Rauchen verboten, aber die Frau behielt ihre brennende Zigarette trotzdem zwischen Zeige- und Mittelfinger der geröteten Hand. Keiner der Angestellten sagte etwas. Eine Gefälligkeit unter Kollegen, vermutete Sachs.
Die Frau nahm mit verkniffenem Blick Amelias Dienstausweis in Augenschein.
»Sonja hat gesagt, Sie hätten ein paar Fragen. Aber sie hat nicht gesagt, worum es geht.« Ihre Stimme war tief und rau.
Sachs spürte, dass Sonja ihr wahrscheinlich alles erzählt hatte. Aber sie spielte mit und nannte der Frau die relevanten Details – zumindest diejenigen, die sie preisgeben durfte. Dann zeigte sie ihr ein Foto von Ben Creeley. »Er hat Selbstmord begangen.« Gerte sah nicht überrascht aus. »Und wir untersuchen die Umstände seines Todes.«
»Ich hab ihn gesehen. Zwei- oder dreimal, schätze ich.« Sie sah auf die Tafel mit der Speisekarte. »In der St. James Tavern kann ich umsonst zu Abend essen. Aber heute werde ich wohl zu spät kommen. Weil ich hier sitze. Mit Ihnen.«
»Darf ich Sie zum Essen einladen?«
Gerte winkte der Kellnerin und bestellte.
»Möchten Sie auch etwas?«, wandte die Frau sich an Sachs.
»Haben Sie Kräutertee?«
»Falls Lipton ein Kraut ist, haben wir welchen.«
»Dann eine Tasse, bitte.«
»Etwas zu essen?«
»Nein, danke.«
Gerte musterte Amelias schlanke Figur und lachte zynisch auf. Dann fragte sie: »Dieser Kerl, der sich umgebracht hat – hinterlässt er eine Familie?«
»Ja.«
»Schlimm. Wie heißt er?«
Die Frage ließ befürchten, dass Gerte sich nicht als Quelle ergiebiger Informationen erweisen würde. Und wie sich herausstellte, konnte sie tatsächlich nichts Hilfreicheres beisteuern als ihre Kollegin Sonja. Sie wusste nur noch, dass sie Creeley seit September oder Oktober ungefähr einmal monatlich in der Kneipe gesehen hatte. Auch sie hatte den Eindruck, er habe sich mit den Polizisten im Hinterzimmer getroffen, aber sie war sich nicht sicher. »Wissen Sie, in dem Laden ist ziemlich viel los.«
Und die Geschäfte werden nicht nur an der Theke getätigt, dachte Sachs. »Kennen Sie manche der Cops dort persönlich?«
»Die vom Revier? Ja, ein paar.«
Als die Getränke kamen, nannte Gerte ihr mehrere Vornamen und beschrieb die Männer. Einen Nachnamen kannte sie nicht. »Die meisten von denen sind ganz in Ordnung. Einige sind Arschlöcher. Aber ist das nicht überall so?... Noch etwas.« Sie deutete auf das Foto von Creeley. »Mir fällt gerade ein, dass er nicht viel gelacht hat. Er hat sich immerzu umgesehen, über die Schulter, aus dem Fenster. Als sei er nervös.« Die Frau schüttete sich Sahne und Süßstoff in den Kaffee.
»Sonja hat gesagt, bei seinem letzten Besuch habe er sich mit
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