Gehirnfluesterer
Gruppen aufgeteilt. Die einen hatten Läsionen in den für Gefühle zuständigen Gehirnbereichen
(vor allem in der Amygdala und zentral im präfrontalen Cortex), die anderen Läsionen in anderen Bereichen (seitlich im rechten
oder linken Sektor des präfrontalen Cortex). Wenn die neuroökonomische Theorie richtiglag mit ihrer Behauptung, Gefühle seien
verantwortlich für Risikoscheue, dann müssten, der Logik des Spiels nach, die Spieler der ersten Gruppe (die mit den einschlägigen
Läsionen) die Spieler der zweiten Gruppe übertreffen.
Und genau so kam es. Als sich das Spiel entwickelte, verlegten sich die »normalen« Spieler darauf, die Gelegenheit für neue
Einsätze nicht zu nutzen, und horteten ihre Gewinne lieber. Die anderen dagegen, diejenigen, in deren Gehirn die emotionalen
Adressen gestört waren, machten weiter und gingen mit erheblich höheren Gewinnen aus dem Spiel als die Spieler der ersten
Gruppe. George Loewenstein, Wirtschaftsprofessor an der Carnegie Mellon, kommentierte: »Das ist möglicherweise die erste Studie,
die dokumentiert, dass Menschen mit Gehirnschäden in Finanzdingen bessere Entscheidungen treffen als normale Menschen.«
Noch alarmierender war der Kommentar von Antoine Bechara, Neurologieprofessor an der University of Iowa: »Man muss noch weiter
untersuchen, unter welchen Umständen Gefühle nützlich beziehungsweise störend sein können, wann sie als Anleitung für das
menschliche Verhalten geeignet sind … Mit einiger Plausibilität könnte man die erfolgreichsten Börsenbroker als›funktionelle Psychopathen‹ bezeichnen – als Personen, die entweder besser in der Lage sind, ihre Gefühle im Zaum zu halten,
oder aber Gefühle nicht mit dem Grad an Intensität erleben wie andere.«
Baba Shiv stimmt dem zu. »Auch viele Geschäftsführer und Spitzenanwälte könnten diese Eigenschaft teilen«, sagt er.
Auf Vertrauen verdrahtet
Shivs und Becharas Kommentare sind plausibel. Ein eiskaltes Genie mit einer ungerührten, erbarmungslosen Neurologie erlaubt
solchen Menschen, das Fühlen so leicht vom Denken abzukoppeln, wie sie einen Schnürsenkel aufmachen. Unbekümmert lassen sie
alle anderen zurück, manchmal im wörtlichen Sinn als Tote.
Bill Gates ist kein Mensch, den ein Laie als Psychopath bezeichnen würde, aber im Geschäftsleben sicher als jemand, dessenAder für Empathie stillliegt. Neulich gab er ein Interview im Fernsehen. »Sie haben ein multinationales Milliardenunternehmen«,
sagte die Moderatorin. »Warum müssen Sie die Konkurrenz unterdrücken, diese kleinen Jungs mit ihren Garagenfirmen? Warum wollen
Sie niemanden hochkommen lassen, sondern immer hundertprozentig gewinnen?« Gates sah sie an, als ob sie nicht alle Tassen
im Schrank hätte. »Ich verstehe das als Kompliment«, antwortete er.
Nach oben?
Die unterkühlten Temperaturen eines psychopathischen Gehirns, dessen Fähigkeit, den neuronalen Kurs zu steuern, haben nicht
nur Auswirkungen auf die Empathie. Eine untätige Amygdala bietet noch andere Vorteile, vor allem in Sachen Vertrauen und Selbstvertrauen,
anderen Faktoren der Beeinflussung. Nicht alle Psychopathen sitzen hinter Gittern. Das tun nur die, die kriminell werden und
die man erwischt hat. Viele sind gesetzestreue Bürger, die ihrer Arbeit nachgehen, und gerade da sehr erfolgreich, wo es um
hohe Risiken geht: vor Gericht, im Big Business, bei den Streitkräften, in den Medien. Das hat einen einfachen Grund: Sie
trauen sich zu, in solchen Situationen Erfolg zu haben, die weniger robuste Menschen einem brutalen, unerträglichen Stress
aussetzen würden.
Die Neurochirurgie gilt allgemein als die riskanteste Spezialdisziplin, die ein Chirurg wählen kann. Der Neurochirurg bewegt
sich tief im Gehirn, absolute Präzision ist unverzichtbar, die Fehlertoleranz muss geringer sein als bei einem Scharfschützen.
Kein Job für zart Besaitete. Was sind das für Menschen, die in diesem Beruf »gut abschneiden« und sich in den entlegenen Grenzregionen
zwischen Bewusstsein, Selbst und Seele so sicher bewegen? Einen Hinweis kann uns Andrew Thompson geben, der 22 Jahre als Neurochirurg gearbeitet hat und gewiss nicht in der »Innenstadt« der Psychopathie wohnt: »Ich wäre alles andere
als ehrlich, wenn ich sagen würde, dass mir diese Herausforderungen keinen Kick geben. Neurochirurgie ist ein blutiger Sport.
Mich stets auf der sicheren Seite zu bewegen, liegt nicht in meiner Natur …
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