Gehirnfluesterer
Leistungen des Bevölkerungsdurchschnitts nicht
signifikant unterscheiden. Um das herauszufinden, besuchte Baron-Cohen drei Londoner Gefängnisseund wählte neunzehn straffällig gewordene Psychopathen heraus. Dazu achtzehn gesetzestreue, nicht psychopathische Mitglieder
der Bevölkerung zum Vergleich. Jeder einzelnen seiner Versuchspersonen zeigte er vierzig Fotos von Augenpartien und bat sie,
wie oben, die Stimmung der Fotografierten anzugeben.
Das Ergebnis war eindeutig. Wie vorausgesagt, fand Baron-Cohen keinerlei Unterschiede in den Ergebnissen von Psychopathen
und Nicht-Psychopathen. Da gab es Gleichstand. Gleichzeitig war dieses Ergebnis ein weiterer Hinweis darauf, dass im Gehirn
von Psychopathen, auch wenn sie keine Empathie fühlen können, ein Konzept dafür jedenfalls vorhanden ist, quasi eingefroren.
Was hatte Keith Barrett zu mir gesagt? »Ich kann in deinem Gehirn lesen wie in einem Streckenplan der U-Bahn . Es durchmischen wie ein Spiel Karten. Denn in Wirklichkeit bin ich ein psychologischer Croupier. Ich gebe die Karten. Ich
drehe das Rad. Verteile die Chips. Und lehne mich zurück, um zu beobachten, was geschieht. Warum sollte ich mich beunruhigt
fühlen? Oder schlecht? Warum sollte ich überhaupt
irgendetwas
fühlen? Keiner schlägt die Bank. Jedenfalls nicht auf lange Sicht … Du wärst überrascht, wie ähnlich Menschen den Glücksautomaten sind. Du weißt, wann du dich zurückhalten, wann du nachhelfen
musst – und die Spielmarken rasseln heraus. Gefühle? Das ist was für Pflaumen.«
Eiskalt auf dem Markt
Wenn man bedenkt, unter welchen Umständen Beeinflussung und Verführung eine große Rolle spielen – vor Gericht, in Konferenzräumen,
auf der Polizeiwache, in Schlafzimmern und so weiter –, kann man sich leicht vorstellen, dass die Fähigkeit von Psychopathen, Gefühle zu erkennen, aber nicht selbst zu empfinden,
sehr wohl Vorteile bringen kann. Sie können mit nur einem Motor fliegen, wenn der andere stottert oder ausfällt. Eineso kristalline Neurobiologie wie die ihre kann, ganz wörtlich, einer Situation die Hitze nehmen. Und ihre neurobiologische
Ausstattung erlaubt ihnen, sich in spannungsvollen Situationen, wo es auf Logik ankommt, auf Details zu konzentrieren. Eine
Fähigkeit, die uns anderen unter Druck möglicherweise abgeht. Zusätzlich können sie all das simulieren.
»Ich bin der kälteste Hund, den Sie je getroffen haben«, sagte Ted Bundy, der im Lauf von vier Jahren rund 35 Frauen ermordete, enthauptete und vergewaltigte – in dieser Reihenfolge. 3 Da hatte er recht.
Aber es gibt auch Zeiten und Situationen, wo eine solche Kälte sehr nützlich ist, wo sie, statt Menschenleben zu kosten, Menschenleben
rettet.
Das »Equity Premium Puzzle« hat Finanzexperten lange verwirrt. Gemeint ist die Tendenz, nach der Investoren, vor allem in
Zeiten sinkender Börsenkurse, in großer Zahl in festverzinsliche Papiere investieren und nicht in Aktien, obwohl diese auf
lange Sicht weitaus bessere Erträge bringen. Ein Rätsel wie dieses – man spricht auch von kurzsichtiger Verlustaversion –
haben den Anstoß gegeben für ein neues, inzwischen geradezu modisches Forschungsfeld: die Neuroökonomie.
Neuroökonomische Forschungen konzentrieren sich auf die mentalen Vorgänge, die Entscheidungsprozesse im Finanzwesen antreiben.
Die bisherigen Ergebnisse sprechen im Wesentlichen dafür, dass Gefühle Angsthasen sind: so sehr auf Risikovermeidung orientiert,
dass sie selbst dann, wenn die Gewinne die Verluste übertreffen, unser Gehirn Haken schlagen lassen, die es auf die sichere
Seite führen. In anderen Worten: Gefühle haben die Tendenz, Chancen zu verspielen.
Eine Behauptung, für die 2005 ein Team aus Forschern der Stanford University, der Carnegie Mellon University und der University
of Iowa eindeutige empirische Beweise bringen konnte. Im Zentrum der Studie stand ein Glücksspiel, das überzwanzig Runden gespielt wurde. Zu Beginn erhielten die Spieler einen Betrag von zwanzig U S-Dollar , und vor jeder Runde wurden sie gefragt, ob sie bereit seien, einen Dollar auf einen Münzwurf zu setzen. Der mögliche Verlust
betrug nur einen Dollar, der mögliche Gewinn dagegen 2,50 Dollar.
»Logisch gesehen«, so Baba Shiv, Associate Professor of Marketing an der Stanford University, »wäre es das Richtige, in jeder
Runde zu setzen.« Doch, wie wir wissen, zieht Logik nicht immer.
Die Teilnehmer der Studie waren in zwei
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