Gehirnfluesterer
einem jemand nachstellt, der
Beziehungswahn, die Vorstellung, dass alles, was andere tun, sich auf den Kranken bezieht; der Fremdbeeinflussungswahn, die
Vorstellung, dass fremde Kräfte direkt oder indirekt die eigenen Gedanken beeinflussen. Zu den bizarreren monothematischen
Wahnvorstellungen gehören das Capgras-Syndrom: der Glaube, dass dem Kranken nahestehende Menschen, oft die Partner, nicht
der oder die sind, für die sie sich ausgeben, sondern Betrüger gleichen Aussehens; das Cotard-Syndrom: der Glaube, dass man
tot ist; das Fregoli-Syndrom: die Vorstellung, das Leute aus dem Umfeld sich optisch verändern, um ihre wahre Identität zu
verbergen, und als andere Personen auftreten; sowie die Mutter aller Wahnvorstellungen, die »Mirror-Self Misidentification
Delusion«: die Vorstellung, dass das eigene Spiegelbild nicht einen selbst zeigt, sondern einen Doppelgänger,eine Person, die einem überallhin folgt und immer, ob es ums Rasieren geht oder um die Anprobe neuer Kleidung, dasselbe tut.
An diesem Wahn leidet der Spiegelmann.
Ich nenne ihn George. Er ist Mitte achtzig und nach einer erfolgreichen Laufbahn als Geschäftsmann im Ruhestand. Er ist verheiratet,
hat zwei Kinder und arbeitet immer noch in der Werbefirma seiner Frau mit. Meine Güte, dachte ich, als ich ihn zum ersten
Mal sah. Der Kerl ist so normal. Kann das wirklich wahr sein, was ich über ihn gehört habe? Meine Zweifel wurden bald kuriert.
Nora Breen aus Colthearts Forscherteam führt uns in einen Raum mit einem Spiegel, und George stellt sich davor. Nora fragt
ihn: »Wen siehst du dort im Spiegel, George?«
Er antwortet mit besorgter Stimme: »Ihn.«
»Wen?«, fragt Nora.
»Ihn«, sagt George, »den Typ, der mir immer folgt. Der sich anzieht wie ich. Der aussieht wie ich. Und der zur selben Zeit
alles tut, was ich auch tue.«
Nora und ich treten ins Bild. »Wen siehst du nun?«, fragt sie.
»Das seid ihr«, sagt George, »du und Kevin.«
Ich bin baff.
»Frag ihn«, sage ich zu ihr, »wie es sein kann, dass wir beide höchstpersönlich im Spiegel zu sehen sind und der Mann in der
Mitte ist jemand völlig anderes.«
Sie tut es.
George schüttelt den Kopf. »Ja, ich weiß, das klingt verrückt, aber es ist genau so, wie ich es sage. Ich würde liebend gerne
glauben, dass der da drin ich bin. Kann ich aber nicht. Es ist irgendein anderer Typ. Er sieht aus wie ich. Handelt wie ich.
Tut alles zur genau gleichen Zeit wie ich. Aber ich bin das nicht. Das ist er.«
»Danke, Nora«, sage ich und hole mir einen Kaffee.
Wir belassen es dabei.
Überzeugungskrise
Die Begegnung mit dem Spiegelmann gab mir einiges zu denken. George, wie ich ihn in Max Colhearts Labor erlebte, hatte nicht
einfach einen schlechten Tag. Er hatte einen guten Tag: Er war de facto der Star des Belief Formation Program. Colhearts Mitarbeiter
hatten getan, was sie konnten, um seinen Wahn zu vertreiben, und es war, als würden sie gegen eine Wand laufen. Georges Überzeugung,
dass der Mann im Spiegel ein Hochstapler sei und nicht er selbst, blieb unerschütterbar. Colheart vermutete, dass sich das
Krankheitsbild verschlechtern oder bestenfalls stabil bleiben werde, was immer sie mit ihm anstellten.
Plötzlich musste ich an Jonestown denken. Mir erschien das Ganze als ein Riesenparadoxon. Auf der einen Seite kann ein Reverend
Jim Jones 900 Menschen dazu bringen, sich – und auch ihre Kinder – ums Leben zu bringen, indem sie ein mit Arsen versetztes Gesöff in sich
hineinkippen. Auf der anderen Seite sind ein paar weltweit führende Psychologen nicht in der Lage, einen Mann davon zu überzeugen,
dass sein Spiegelbild er selbst und kein bedrohlicher Doppelgänger ist. Was hat das zu bedeuten? Entweder muss etwas Besonderes
an Menschen wie Jones sein. Dann sollte man Typen wie ihn ins Labor nach Sydney bringen. Oder aber es sind die Überzeugungen,
mit denen es irgendetwas Besonderes auf sich hat. Ich fragte mich, ob es nicht so etwas wie ein Spektrum der Stärke gibt,
in das sich alle Überzeugungen einordnen lassen – am einen Ende die unerschütterbaren, am anderen die kurzlebig-vergänglichen
Überzeugungen, und alle anderen irgendwo dazwischen.
Yes, we can
Im Sommer 2008, nicht lange bevor Barack Obama zum Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde, hat Ray Friedman, Professor
für Management an der Vanderbilt University, zusammen mit zwei weiteren Forschern zwanzig Fragen aus dem Katalogfür mündliche
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