Gehirnfluesterer
(Paul hatte eine glückliche Kindheit).
Und siehe da, auch der Einbrecher begann von seiner eigenen traumatischen Kindheit zu erzählen, die beiden gerieten in ein
Gespräch. Und verstanden sich. Als Paul fertig war mit dem Runterladen, machte er dem Einbrecher einen zweiten Vorschlag.
Ob sie ihr Gespräch nicht unten in der Küche fortsetzen sollten, bei einem Bier? Die Umstände sprächen zwar dagegen, doch
glaube er, Paul, dass das Schicksal sie zusammengebracht habe. Ganz offensichtlich hätten sie doch vieles gemeinsam. Außerdem
könne er nun sowieso nicht wieder einschlafen.
Auch das schluckte der Einbrecher. Und Paul fiel noch ein, dem Einbrecher – ohne dass der dies verlangt hätte, aber Paul war
jetzt in Schwung – eine Wollmütze durch die Schlafzimmertür zuzuwerfen und ihn zu bitten, sie übers Gesicht zu ziehen. Dann
könne er, Paul, ihn nicht erkennen. Damit gingen die beiden nach unten.
Die Freundin, die in ein Badetuch gehüllt auf dem Treppenabsatz kauerte, hörte, wie der Kühlschrank geöffnet wurde und zwei
Bierdosen zischten, etwas später zwei weitere. Schließlich, und gegen Pauls Protest, zog der Einbrecher die Mütze ab. Er fühlte
sich nun wie zu Hause.
Weit über eine Stunde dauerte das Gespräch der beiden. Wäre man zufällig und ohne die Vorgeschichte zu kennen dazugestoßen,
man hätte sein letztes Geld darauf gewettet, dass die beiden alte Freunde sind. Zuletzt stand eine ganze Batterie Dosen auf
dem Tisch, und das Morgenlicht kroch durch die Vorhänge. Bevor der Mann ging, hatte Paul noch eine Idee. Ob sie sich nicht
zusammentun sollten, er sei Briefträger (er arbeitete im Finanzgeschäft) und habe Insiderwissen, wann nämlich die Leute im
Viertel Urlaub machten. Solches Wissen sei unbezahlbar. Der Einbrecher gab Paul doch tatsächlich Adresse und Telefonnummer.
Die beiden schüttelten sich die Hand, Paul versprach, in ein, zwei Tagen anzurufen, damit sie über Geschäfte sprechen könnten.
Er bestand auch darauf, dass der Einbrecher das Powerbook mitnehmen solle. »Abmachung ist Abmachung«, sagte er.
Der Einbrecher bekam bereits am nächsten Tag Besuch. Nicht von Paul. Beamte der zuständigen Strafverfolgungsbehörden fanden
in der Wohnung nicht nur das Powerbook, sondern noch eine Menge anderer Dinge, die in den Monaten davor als vermisst gemeldet
worden waren. Der Polizeichef bedankte sich in einem persönlichen Brief bei Paul.
Einfachheit. Gefühltes Eigeninteresse. Der Überraschungseffekt, Selbstvertrauen. Empathie. Das ist die ganze Hexenkunst der
Psychopathen.
Zusammenfassung
In jeder Gesellschaft gibt es Eliten. Im Sport, in der Wissenschaft, in den sozialen Schichten. Und wir haben Grund zu der
Annahme, dass es auch eine Elite der Verführer und Beeinflusser gibt. In dieser wiederum finden sich nicht wenige Psychopathen.
Die meisten Menschen halten Psychopathen für Monster; sie denken an Serienmörder, Vergewaltiger oder Terroristen. Einerseits
haben sie recht. Viele Vergewaltiger, Mörder oder Terroristen sind in der Tat psychopathisch. Andererseits und entgegen der
weit verbreiteten Ansicht gibt es Psychopathen, die das Gesetz nicht ein einziges Mal brechen. Sie leiten vielmehr multinationale
Unternehmen, sind erfolgreiche Hirnchirurgen, stürmen, in schusssicheren Westen, mit Gesichtsmasken und Atemschutzgeräten,
Botschaften oder Flugzeuge. Oder investieren das Geld ihrer Kunden in lukrativen, wenn auch volatilen Märkten.
Denn Psychopathen sind auch jene Menschen, deren Neurobiologie immer noch eine Extrameile schafft, wenn alle anderen schon
versagen. Auch deshalb sind sie Meister der Überzeugung. Eine Dysfunktion der Amygdala – des Areals des Gehirns, in dem Gefühle
verarbeitet werden und das uns deren Erfahrung ermöglicht – sowie die damit in der Regel verbundene Abwesenheit von Furcht
ermöglichen es Menschen mit diesen Anomalien, ihre Chancen zu nutzen, sich auf das Ergebnis zu konzentrieren, ohne sich von
Konventionen einengen zu lassen. Coups zu landen, die für die meisten von uns undenkbar wären. Wenn du völlig ungerührt bleibst
und dir sicher bist, dass du mithalten kannst, dann kannst du auch mit dem ersten Schlag einlochen.
Im folgenden und letzten Kapitel erforschen wir die Grenzen der Beeinflussung. Gehirnflüsterer wie Paul sind vielleicht am
besten dazu in der Lage, die Sicherungscodes unseres Gehirns zu unterlaufen. Aber kommen auch sie an ihre Grenzen? Gibt es
für
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