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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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Freund aus Studientagen. Er war nicht etwa ein Verbrecher, hatte
     weder mit Hannibal Lecter noch mit Ted Bundy viel gemein (das Höchste, wozu er es in der ganzen Zeit brachte, war ein Strafzettel
     wegen Falschparkens), aber er war, er
ist
ein Psychopath. Ich weiß es, weil ich ihn getestet habe. Doch es gab auch die üblichen bekannten Signale. Zuvorkommend, intelligent,
     rücksichtslos und selbstsicher verhielt er sich, das auffälligste Zeichen aber war – und jeder kannte das an ihm – seine überwältigende
     Fähigkeit, andere zu beeinflussen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es war, als laufe tief in seinem Gehirn ein Programm, das es
     ihm ermöglichte, sich in die innersten Gedankenwindungen anderer einzuhacken. Und sobald er den Zugang hatte, konnte er mit
     seinem Gegenüber machen, was er wollte. Auch wenn Paul das persönlichePasswort, das psychologische Log-in zum Denken und Fühlen eines anderen nicht kannte, er brauchte kaum fünf Minuten, es herauszufinden
     und zu entschlüsseln. Er war – und ist bestimmt immer noch – einer der begabtesten Psycho-Dechiffrierer, die ich je kannte.
    Vor ein paar Jahren sah ich ihn das letzte Mal. Die Fähigkeit, eine Situation zu seinen Gunsten zu wenden, hatte er nicht
     verloren. Stellen Sie sich einen vollen Zugwaggon in London vor, darin zwei Bauarbeiter in verdreckter, farbverschmierter
     Kluft. Ihnen gegenüber saß Paul in tadellosen Nadelstreifen und mit Aktenkoffer. Es hatte den ganzen Tag geregnet, und die
     Bauarbeiter waren klatschnass, sie hatten im Freien gearbeitet. Sie begannen, Paul anzupflaumen.
     
    ERSTER ARBEITER: Du schiebst ‘ne ruhige Kugel, was? Sitzt rum in Anzug und Krawatte. Ein Tag wirkliche Arbeit würde dich umbringen.
    PAUL: Wessen Job hätten Sie lieber? Ihren oder meinen?
    ERSTER ARBEITER: Du bist vielleicht ‘n komischer Vogel. Nicht für ’ne Sekunde wollte ich an deiner Stelle sein.
    PAUL: Na prima, worüber beschweren Sie sich also?
    ZWEITER ARBEITER: Schlaues Kerlchen, eh? Aber ich sag dir eins – wenn er den Job nicht will, ich würde ihn nehmen.
    PAUL: Prima, und worüber beschweren Sie sich dann? Sie sind ja nur neidisch.
     
    Von einer Freundin Pauls (er hatte viele) hörte ich einmal eine Geschichte, die sein Improvisationstalent veranschaulicht.
     Eines Nachts lagen die beiden im Bett, als sie plötzlich von einem Einbrecher geweckt wurden. Es war noch so dunkel, dass
     Paul nur das Profil des Eindringlings erkennen konnte, der sich, ein paar Meter von ihm entfernt, über Pauls Powerbook beugte,
     das auf der Kommode lag. Die meisten Menschen würden sich in dieser Situation entweder schlafend stellen oder in blinder Panik
     etwas tun, was sie später bereuen. Paul nicht, er blieb ruhig und gefasst.
    »Hören Sie«, sprach er in vernünftig-sachlichem Ton ins Dunkel, »ich will keinen Kampf mit Ihnen oder so etwas, also lasseich auch die Halbautomatik, mit der ich gut umgehen kann, unter meinem Kissen liegen. Früher bin ich auch in allerhand Häuser
     eingebrochen (eine glatte Lüge). Heute aber glaube ich, wer mit dem Schwert lebt, wird auch durchs Schwert umkommen. Insofern
     macht es mir wirklich nichts aus, wenn Sie das Powerbook nehmen. Ich möchte Ihnen aber einen Deal vorschlagen. Wenn Sie mich
     jetzt ein paar Sachen runterladen lassen, werde ich den Verlust nicht mal anzeigen. Ich kann Ihr Gesicht nicht erkennen, und
     Sie werden klug genug gewesen sein, Handschuhe zu tragen. Ich habe also gar nichts in der Hand, womit ich zur Polizei gehen
     kann. Was sagen Sie dazu?«
    Erstarrt vor Schreck lag die Freundin neben Paul, während der Einbrecher über das Angebot nachdachte. Schließlich, nach schier
     endlosen Sekunden, entschloss er sich, darauf einzugehen. Pauls Magie hatte gewirkt.
    Und das war erst der Anfang. Paul hatte die Kontrolle über die Situation, jetzt drehte er auf. Und wenn er sich ans Werk machte,
     dann richtig. Zunächst bat er den Einbrecher, kurz nach draußen zu gehen, solange er seine Sachen runterlud: Das Licht des
     Bildschirms könnte sein Gesicht beleuchten, und er, der Einbrecher, wolle gewiss nicht erkannt werden. Der Einbrecher folgte
     dem Rat. Dann, während er sich an seinem Powerbook zu schaffen machte, begann Paul ein Gespräch mit dem Eindringling. Als
     Erstes erzählte er detailliert von den Häusern, in die er eingebrochen war; sprach dann von den Misshandlungen, die er als
     Kind von seinem Stiefvater zu erdulden hatte – das habe ihn auf die schiefe Bahn getrieben

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