Gehirnfluesterer
Nachbarschaftsblättchen. Werbung für
die Kirchengemeinde. Bevor er sich als Menschenfischer betätigte, hatte Barrett den Geistlichen gebeten, diese Anzeige zu
schalten. Nun besorgten die Gesetze der Psychologie den Rest. Durch ihre kleine Spende hatten sich die Anwohner schon symbolisch
zu der Gemeinde bekannt. Warum also sollten sie sich nicht aufmachen und die Kirche in Augenschein nehmen. Natürlich nicht
alle. Aber einige. Auf jeden Fall mehr, als es gewesen wären, wenn die Leute nur die Werbung gesehen und vorher nichts gespendet
hätten. So einfach war das.
Die Kirche war gerammelt voll, und Barrett hatte seinen Schnitt gemacht. Die Wege des Herrn sind gewiss unerforschlich. Aber
die von Keith Barrett nicht.
Die richtigen Linien
Keith Barrett ist ein evolutionärer Doppelagent, der Übles im Schilde führt. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, in
die Gehirne seiner Mitmenschen einzudringen und dort die psychologische DNS des freien Willens zu knacken. Sein Gehirn ist
auf andere Weise geschaltet als bei uns anderen, und seine neuronale Wetterlage ist schwer einzuschätzen. Und doch gibt sein
Verhalten Aufschlüsse. Barrett ist nämlich nicht nur ein eiskalter Betrüger, sondern auch einer der besten Gehirnflüsterer
der Welt. Was bei diesem psychopathischen Trickbetrüger funktioniert, kann auch bei uns allen funktionieren.
Seit über fünfzehn Jahren befasse ich mich mit den Prinzipien sozialer Beeinflussung. In dieser Zeit bin ich auf viele Klassifizierungen
gestoßen, deren Urheber den Anspruch erheben, sie könnten damit die Wissenschaft von der Kunst der Beeinflussung auf eine
einheitliche Theorie reduzieren, eine Art Weltformel.Manche dieser Ansätze sind wirklich gut. Doch keiner kommt dem Kern der Sache so nahe wie Barretts »drei A’s«: Aufmerksamkeit,
Annäherung, Anbindung. Sie bilden den empirischen Hintergrund für mein eigenes Modell der Beeinflussung, auf das wir noch
kommen werden.
Wie sagte Barrett: »Du musst es so sehen: Du kennst doch die Strichzeichnungen berühmter Leute in der Zeitung? Anhand weniger
Striche, mit einem Minimum an Details, kannst du erkennen, um wen es sich handelt. Nur ein paar wenige Striche, richtig platziert
– und man kapiert es sofort. Mit der Beeinflussung ist das nicht anders. Du musst nur wissen, wo die Schalter des Gehirns
liegen. Wo die Leute ihre psychologischen blinden Flecken haben.«
Mit den Cartoons hat er natürlich völlig recht, wie man an folgendem Beispiel sieht.
Die Kunst der Beschränkung: Ein paar simple Striche sprechen Bände.
Wir alle wissen, wer das ist, oder? Sehen Sie sich an, wie viel Information mit so sparsamen Mitteln transportiert wird. Wie
die unverwechselbare Physiognomie eines Individuums auf ein paar wenige richtig platzierte Striche reduziert werden kann.
Es kommt, wie Barrett ganz richtig sagt, nicht auf die Menge der Details an, sondern darauf, dass es die richtigen sind. Dasselbe
gilt für die Schalter im Gehirn.
Wir werden einige davon näher betrachten. Wir entschlüsseln die Geheimnisse von Barretts Straßenpsychologie, wir benutzen
seine drei A’s als Anleitung, um zu analysieren, wie ein Betrüger das Gehirn anderer Menschen quasi in die Knie zwingen kann.
AUFMERKSAMKEIT
In jedem einzelnen Moment wirken Tausende von Reizen auf unser Gehirn ein. Wir merken das nicht, denn wir achten nur auf einige
wenige. Überlegen Sie nur, was Sie gerade tun, zum Beispiel, wenn Sie dieses Buch lesen. Ihre Augen bewegen sich über den
Text, Sie nehmen die Worte auf und die Seiten, auf denen sie gedruckt sind. Aber wahrscheinlich nicht, wenn ich es nicht erwähnen
würde, die Art, wie sich das Buch in Ihrer Hand anfühlt. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Das Gehirn hat eine Art Prioritätenbüro.
Das filtert die Informationen heraus, die wichtig sind für das, was wir gerade tun. Der Rest landet im Müll.
Seit ewigen Zeiten ist die Tatsache bekannt, dass es Wege gibt, auf denen man in dieses Prioritätenbüro des Gehirns eindringen
und manipulieren kann, was in seinem Eingangsfach landet. Bei der Hypnose zum Beispiel ist die Fähigkeit des Hypnotiseurs,
die Schalthebel des Bewusstseins wie eine Art neuropsychologische Satellitenantenne zu bewegen, wesentlich für die Auslösung
der Hypnose. Auch bei der Zauberkunst ist der Aufmerksamkeitsbypass geläufig.
Kognitive Ablenkung ist ebenso Teil von Überzeugungskraft. Hier wie bei der Zauberkunst liegt
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