Gehirnfluesterer
Dienstkleidung und wedelten mit einem Blatt Papier. »Keine Sorge«, hätten sie gesagt, »ist so verabredet.« Damit
luden sie die Sachen in ihren Laster und fuhren davon. »Verabredet?«, fragte der Trauzeuge, »was meinen Sie mit verabredet?«
Die Empfangsdame geriet in Panik. »Verabredet«, sagte sie, »die Geschenke. Sie wurden alle nach Hause gebracht.« – »Wohin
nach Hause?«, fragte er. – »Äh, weiß nicht«, antwortetesie, den Tränen nahe, »ich dachte … vielleicht … zum Haus des Bräutigams …« Nun weinte sie wirklich. Das Haus des Bräutigams, dachte er, verdammt noch mal. Das glückliche Paar wohnte 700 Meilen entfernt vom Schauplatz des Geschehens.
Später kam heraus, was sich abgespielt hatte. Die Frau am Empfang hatte die Identität der Männer nicht überprüft. Gerade als
die Gauner in die Halle stolzierten, war sie schwer beschäftigt mit dem Gast von Zimmer 308. Er hatte Probleme mit dem Zimmerservice. So habe sie diese Leute einfach durchgewinkt. Außerdem, sagte sie, warum hätte sie
Verdacht schöpfen sollen. Sie passten zur ihrer Rolle, sie spielten die Rolle. Sie waren die Rolle. Oder nicht?
Traurig für Jim und Ellie – diese Leute spielten tatsächlich eine Rolle, so wie auch der Mann von Nr. 308. Das Zimmer war reserviert auf den Namen Smith. Doch als dieser vermeintliche »Smith« auf den Tresen trommelte und wegen seines
Chicken-Sandwichs herumpolterte, hatte er das Zimmer gar nicht wirklich bezogen. Dabei sollte es auch bleiben.
Mit Ablenkungsmanövern wie diesem machen Trickbetrüger ihr Geld. Das geht sogar verhältnismäßig einfach. Als ich Keith Barrett
davon erzählte, lachte der nur. Die Gauner hätten bestimmt die Lokalzeitung durchstöbert, auf der Suche nach Hochzeitsfeiern
wie der von Jim und Ellie. Und dann die Gelegenheit genutzt. Man dürfe das nicht persönlich nehmen, so sei das Geschäft eben.
Man müsse zur Rolle passen, ein bisschen Selbstvertrauen haben und sich darauf verlassen, dass das Gehirn der Düpierten schon
die richtigen Schlüsse zieht. Das ist das ganze Geheimnis dieses wenig ehrenwerten Tagwerks.
(Soll ich Ihnen demonstrieren, wie uns abgelenkte Aufmerksamkeit zu falschen Schlüssen bringt? Machen Sie die Übung am Ende
des Kapitels auf S. 125.)
Vielleicht verstehen wir nun besser, was der Empfangsdame widerfuhr. Wir sollten sie nicht zu hart beurteilen. Schließlich
ist nicht sie mit den Geschenken davongefahren. Wenn wir schon mit dem Finger auf jemanden zeigen, dann ist »Smith« unser
Mann, der geheimnisvolle Gast von Zimmer 308. »Smith« hat alsAufmerksamkeitsmagnet gewirkt. Er hat ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, seine Rolle war es, die psychischen Ressourcen
der Frau zu binden, sie abzulenken von dem wirklichen Problem hin zu einem fiktiven. Das macht auch der Mann von den Stadtwerken,
der in der Wohnungstür steht, mit einem gefälschten Ausweis wedelt und Sie in ein Gespräch verwickelt. Vielleicht über Ihre
tolle Frisur. Oder über den schicken Wagen vor der Tür. Sie denken erst wieder an den Kerl, wenn die Kreditkartenfirma anruft,
weil Sie Ihr Konto überzogen haben. Worte, und vor allem schmeichelhafte, erzeugen rasch einen kognitiven Kurzschluss.
Das Rad des Schicksals
Eine solche Wirkung von Nebengeräuschen auf unsere Fähigkeit, die richtige Entscheidung zu treffen, zeigt, dass wir, vor allem,
wenn wir unter Druck stehen, wachsam bleiben müssen. Etwa den Dienstausweis genau prüfen, nach Einzelheiten des Auftrags fragen.
Unsere kognitiven Ressourcen sind, wie alle anderen auch, begrenzt. Und das wiederum hat Folgen für die Art ihres Einsatzes.
Haben Sie sich jemals gefragt, aus Anlass eines einschlägigen Zeitungsartikels etwa oder eines Fernsehberichts, warum die
größten Betrüger in der Regel auch große Charmeure sind? Dafür gibt es gute Gründe. Charmante Gespräche sind nicht umsonst.
Sie erzeugen einen schwelgerischen Zustand im Gehirn, der nur mit großem Aufwand aufrechtzuerhalten ist, und bedeuten eine
viel größere kognitive Belastung mit höheren Anforderungen, als wenn wir einfach ganz nüchtern einen Realitätscheck machen.
Was bedeutet: Während wir die Komplimente verschlingen, verzehren wir Guthaben. Gehirnguthaben. Für das Geschäft des kritischen
Denkens bleibt dann zu wenig übrig.
Das Prinzip der kognitiven Belastung, dass nämlich die Ressourcen umso mehr beansprucht werden, je mehr Operationen unser
Gehirn
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