Gehirnfluesterer
ein
Kommissar beim Lösen eines Kriminalfalles müssen wir uns auf »erprobte und bewährte« Symptome bzw. Indizien, auf superinformative
Schlüsselreize verlassen, um unser Verhalten zu steuern. Nicht auf Punkte, wie die Silbermöwe, nicht auf Quaken, wie der Bell
Frog. Sondern auf tief abgespeichertes, akkumuliertes Wissen erworbener Vorstellungen. Und aufgrund dieser unglücklichen Vorliebe
unseres Gehirns für Abkürzungen geben wir manchmal die falsche Antwort.
Falsche Erwartungen
Das Schicksal, das dem Basketballprofi und dem Bankmanager widerfuhr, bezeichnet man in der Psychologie als Repräsentative
Heuristik: Nach der Pi-mal-Daumen-Regel stellt unser Gehirn Bezüge her zwischen der Wahrscheinlichkeit einer Hypothese und
dem Datenmaterial, das zur Verfügung steht. Und das passiert wahrhaftig nicht nur dann, wenn wir am Schreibtisch sitzen und
Fragebögen auswerten.
In einer Studie über die Auswirkungen von Erwartungen auf den Geschmack haben Hilke Plassman und ihre Kollegen vom California
Institute of Technology heimtückischerweise die Preisaufkleber an einer Flasche mittelmäßigen Cabernets ausgetauscht. Einem
Teil der Probanden sagte man, der Wein koste zehn Dollar pro Flasche, den anderen, er koste neunzig. Hat das den Geschmack
des Weins beeinflusst?
Aber ja.
Diejenigen, denen man den höheren Preis genannt hatte, fanden den Wein viel besser als die anderen. Und das war nicht alles.
Beim Test mit der Magnetresonanztomographie fand Plassman heraus, dass sich dieser Unterschied der Einschätzung sogar anatomisch
manifestiert – in der Gehirnaktivität. Nicht nur dass der »billigere« Wein schlechter schmeckt als der »teurere« – Letzterer
löst sogar Reaktionen im orbitofrontalen Cortex aus, dem Teil des Gehirns, der auf angenehme Erfahrungen reagiert.
Ähnliche Ergebnisse sind auch von anderen Experten gefunden worden. Der Kognitionspsychologe Frederic Brochet vom Centre Oenologique
in Bordeaux nahm einen mittelmäßigen Wein und servierte ihn in zwei verschiedenen Flaschen. Auf der einen stand »Vin de table«,
auf der anderen »Grand cru«.
Haben die Probanden den Braten gerochen? Mitnichten.
Trotz der Tatsache, dass sie wie in der Plassman-Studie denselben Wein vorgesetzt bekamen, haben die Kenner die beiden Flaschen
unterschiedlich beurteilt. Der angebliche Grand cru war »angenehm, reif, komplex, ausgewogen, mit starkem Abgang«, der andere
»flach und schwach im Abgang«.
John Darley und Paul Gross von der Princeton University gingen noch einen Schritt weiter und zeigten diesen Effekt in einer
Studie über soziale Schichten. Zwei Gruppen von Probanden mussten die Intelligenz eines Mädchens anhand der Lösung von Matheaufgaben
beurteilen. Den einen sagte man, sie käme aus der Unterschicht, den anderen, sie käme aus gehobenen Verhältnissen. Und wer,
denken Sie, hat das Kind für intelligenter gehalten? Natürlich die zweite Gruppe. Dieses simple Vorurteil führte also noch
weit über die Einschätzung der mathematischen Kompetenz hinaus. Es war die Grundlage für eine viel grundsätzlichere Einschätzung
der Intelligenz generell. Die Leistung wurde höher eingeschätzt, nur weil man annahm, das Kind käme aus der Oberschicht. Der
Status bildet einen Schlüsselreiz für Annäherung beim Wein, bei den Menschen, bei allem. Und färbt unsere Wahrnehmung viel
mehr ein, als wir uns klarmachen. 3
Etwas im Sinn
Erwartungen haben natürlich nicht nur Einfluss auf die
Beurteilung
einer Leistung. Sie können auch die Leistung selbst beeinflussen. Zum Beispiel an der Universität. Bei Prüfungen in den Vereinigten
Staaten haben schwarze Freiwillige erheblich schlechter abgeschnitten, wenn man ihnen vorher sagte, es gehe auch um einen
Intelligenztest. Wenn wir zu einer Gruppe gehören, die als unterlegen gilt, dann kann dies unsere Fähigkeiten als
Individuum
wesentlich beeinflussen. Man nennt das »Bedrohung durch Stereotype«. Es gibt auch das Gegenteil davon, den Erfolg durch Stereotype,
wenn das Gefühl der Überlegenheit der eigenen Gruppe die Leistung tatsächlich begünstigt. Margaret Shih von der Harvard University
hat das empirisch belegt,und zwar im Zusammenhang mit Mathematiktests. Frauen asiatischer Herkunft schneiden darin schlechter ab als Männer, wenn sie
sich als »Frauen« sehen und der Fokus auf das Geschlecht gelegt wird. Denn »Frauen können eben nicht mathematisch denken«.
Auf der anderen Seite schneiden sie
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